Page - 160 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

160 April 1872 235 240 245 250 255 260 Werk an, mit den höchsten Gedanken, die der Mensch denkt, endet es. Auf dem Ocean ist aber eine solche Mahnung nicht erst nöthig – das Wellenbrausen ist der Orgelton, die Altarkerzen der ewigen Sterne Leuchten, als Weihrauch dampfen Nebelmassen auf, als Altarvorhänge ziehen Wolken daher! Da wird Alles von selbst zum feierlichen Choral und ergreifend schließt Rubinstein den letzten Satz mit einem solchen. Wie er in mächtigen Posaunenaccorden ertönt und die Saiten- instrumente dagegen stürmen und immer wieder zur Tiefe sinken, mag man an das großartige Wort im alten Testament denken: „Da der Herr sprach zum Meere: Bis hieher sollst du und nicht weiter, hier ist deine Grenze, hier lege sich der Stolz deiner Wellen!“ Rubinsteins Ocean-Symphonie ist ein Tongedicht im höchsten Sinn des Wortes – er hat, mit Recht, andeutende Ueberschriften für die einzelnen Sätze verschmäht, sie sind auch gar nicht nöthig, das Werk spricht für sich selbst und durch sich selbst. Von musikalischen Schönheiten wimmelt es wahrhaft – man kann auf das Einzelne eben nicht überall mit Fingern zeigen, aber, um nur Eines zu erwähnen: welch’ wunderbarer, romantischer Zauber spricht aus dem Seiten- satze des ersten Stückes! Ueber die sinnigen, wirksamen Instrumental-Combinati- onen ließe sich schier eine ganze Abhandlung zusammenschreiben. Die Sympho- nie hatte ursprünglich nur vier Sätze – das Adagio, das ich vorhin „Wind und Welle“ genannt habe, und das Scherzo hat Rubinstein neu hinzucomponirt. Ueberhaupt scheint er (wie das Werk von einer früheren Aufführung in seiner Ur- gestalt her in meiner Erinnerung steht) manche Selbstkritik geübt zu haben. Möge er das immer und überall thun! Horaz mit seinen „neun Jahren“ hat ganz recht, und wir prätendiren nicht einmal neun Jahre, sondern höchstens eines oder zwei. Niemand als Rubinstein trägt die Schuld, wenn dieser zwei seiner Werke be- sprechende Aufsatz selbst auch dem zusammengesetzten Metallkönige gleicht. Man soll, denke ich, den Künstler immer nach dem Besten beurtheilen, was er leistet, und nicht dieses oder jenes minder oder nicht geglückte Werk zu einem Anklagepunkt machen. Beobachtet man gegen Rubinstein das Gleiche, so steht sein Künstlerruhm unerschüttert für alle Zeiten. Rezensierte Veranstaltungen Rubinstein, Feramors, 24. April 1872, Hofoper ◼ Abschiedskonzert von Anton Rubinstein, 21.  April 1872, MVgr. Rezensierte Werke Rubinstein: Feramors, Symphonie C-Dur op. 42 Okean (Ozean) Erläuterungen 38 „bringt … Wasser?“] Bibel, Jak 3,11. ◼ 41 Goethe’s Mährchen] Das Märchen (1795). ◼ 44f. halbverrückte Geistliche, … gemacht“] Goethe erzählt von ihm in Die Belagerung von Mainz, in: Goethe, MA, Bd.  14, S.  520. ◼ 53 „Peri“] Das Paradies und die Peri op.  50. ◼ 59–64 In ei- nem verschollenen Buche … Gigant.] Märchen „Ritter Huldmann von Behringen oder Die Höhle des Zoptenberges“, in: August von Kotzebue, Chroniken. Eine Auswahl historischer und romantischer Darstellungen aus der Vorzeit, Leipzig 1809, S.  29–100. ◼ 60 Aemulation] wettei-