Page - 183 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

183 Mai 1872 20 25 30 35 40 45 50 55 60 Es ist ein wahrer Trost, daß diese zu Ende gehende Saison mit einem so rein künst- lerischen Wohllaute schloß, wie die Schubert-Feier war; daß nicht die Erup tion des welthistorischen Wagner-Concertes mit ihren Laven, Rapilli, Bomben und Aschengüssen, sondern jene reine, stillere, aber erwärmendere Opferflamme das Ende bezeichnete. Ueber Feier und Concert haben wir sofort berichtet, man möge es uns nur zugutehalten, wenn wir diese, für diesmal letzten musikalischen Re- vueblätter eben auch auf jenem Opferaltare als anspruchslose Gabe niederlegen. Schwerlich aber würde sich irgendein Mensch in der weiten Welt über das Monument und das solenne Concert mehr verwundert haben als Franz Schubert selbst, der seine Musik machte, wie der Vogel singt, wie die Blume blüht, und keineswegs verlangte, daß die Welt über etwas ihm so Natürliches aus Rand und Band gerathe. „Es steckt etwas in Ihnen, aber Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Charlatan“, sagte der Hofopernsänger Vogl zum jungen Schubert, als er dessen erste Lieder kennen gelernt. So lange Schubert lebte, war von ihm nicht eben viel die Rede, doch fing man endlich an, von dem Liedercomponisten Notiz zu nehmen, und noch bis heute hat sich dieser erste Eindruck nicht völlig verloren. Bei seinem Namen denkt noch jetzt die Mehrzahl sofort an „Erlkönig“ und „Wanderer“ – denn auch aus der nicht zu erschöpfenden Schatzkammer der Schubert’schen Lieder hat sich das Publicum eben nur eine gewisse, nicht allzu große Zahl von Lieblingsstücken ausgesucht, welche es immer wieder hören will. Zu dieser Wahl und Auswahl haben die weiland höchst beliebt gewesenen „Trans- scriptionen“ von Liszt nicht wenig beigetragen, denn von da an wurde das „Ave Maria“, das „Ständchen“ und manches Andere erst populär! Vieles Schönste aber, wie die Gesänge des Harfners aus „Wilhelm Meister“ u. a. m., ruht fast noch als ungehobener Schatz. Robert Schumann war der Erste, der über die, allerdings sehr hoch aufgehäuften Liederhefte hinüber einen Blick auf Schuberts ganzes über- reiches musikalisches Wirken und Schaffen warf – Schuberts, den er als „romanti- schen Maler“ kennzeichnet, „dessen Pinsel gleich tief in die Sonnenflamme wie in das Licht des Mondes getaucht ist“. Die gesammelten Schriften Schumanns sind in den Händen eines jeden Musikers oder verdienen wenigstens es zu sein – schla- ge ein jeder die zahlreichen köstlichen Bemerkungen, die treffenden Worte, die liebevollen Charakterisirungen Schumanns über seinen Lieblingscomponisten nach. Zunächst hat Otto Gumprecht in seinen „Musikalischen Charakterbildern“ Schubert einige Blätter geweiht, die mit zu dem Besten und Geistvollsten gehören, was über eine so blendend geniale Erscheinung, ein so überschwänglich reiches musikalisches Leben gesagt werden kann. Ich sage: musikalisches Leben, denn das alltäglich bürgerliche Leben unseres Franz aus der Vorstadt Lichtenthal war um desto einfacher. Von den Weltfahrten, Welttriumphen u. s. w. moderner Künstler war bei ihm keine Rede. Es war für ihn schon ein Ereigniß, wenn er westwärts bis Salzburg, ostwärts einige Meilen über die Leitha hinüber in ein ungarisches Grafenschloß kam. Ueb- rigens blieb er in seinem lieben Wien und dessen herrlicher nächster Umgebung sitzen, als echtes Wiener Kind, dem sonst nirgends in der Welt so wohl werden mag. Denn in der That könnte man bekannte Verse Lenau’s also parodiren: „Wei- ter soll sich nie von Wien je der Wiener wagen, als man sieht den Stephansthurm