Page - 206 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

206 Juli 1872 65 70 75 80 85 90 95 100 Roll-Bock“ (auch ein Localausdruck!) gegeben, fortzankt: „Mensch, auf Wienn willst, Geh nur geh, kan gar wol sein, in S – Winkel kehr dort ein“ u. s. w. Ob es im Wien des 17.  Jahrhunderts eine Gasse oder ein Gäßchen jenes ästhetischen Namens gegeben, werden unsere werthen Archäologen Dr.  Meynert und Karl Weiß sagen können. In dem Liede Nr. 27 – einer Variation auf das berühmte Thema der Wittwe von Ephesus, betitelt „Weiber-Lieb, bald verwelchendes Vergißmein-nicht“ – beginnt die schnell getröstete Wittib: Gestern ließ ich meinen Mann in schöner Prozession an Stephans-Freydhoff legen gieng die gantze Freundschaft mit wünschten ihm den lieben Frid und auff die Reiß den Segen — aussen zaigt ich grossen Schmertz war mir aber nicht umbs Hertz hab offt die Augen griben und geseüfftzet in der still wainen kundt ich ja nicht vill, der Schlayr ist trucken blieben. (Der sittlich entrüstete Dichter ruft in den Schlußversen: „es seynd lauter Crocodil, auff jhr Thränen halt nit vil, sie fließen wann sie wöllen“.) Die Erwähnung des „Stephans-Freydhoffs“ deutet abermals ganz bestimmt auf Wien. Weiterhin kommt ein Bauernlied vor, wo wiederholt vom „Pfleger“ die Rede ist, das ist nach damaligem, noch bis in die Neuzeit nicht vergessenen öster- reichischen Sprachgebrauche „Amtmann“ (der Ausdruck „Pfleggericht“ ist den Juristen noch in Erinnerung), ferner figurirt als Nr.  20 ein „steyermarckischer Rauffjodel“ (Jodel so viel wie Stier, hier natürlich nur als Metapher!). Alles dieses deutet auf österreichischen, speciell auf Wiener Ursprung des Büchleins. Es macht einen eigenen Eindruck, wenn man sich neben diesen alten Poesien und Melodien der Schubert’scher Liederhefte erinnert, die, auch Wiener Ur- sprungs, heutzutage auf den Klavieren der liebenswürdigen Wienerinnen liegen, welche kaum begreifen werden, wie sich ihre Schwestern vor zweihundert Jahren mit so grobkörniger und grobsalziger Kost begnügen mochten. Aber der Geist dieser Poesie und sogar etwas von dem melodischen Zuge dieser Liedercomposi- tion lebt in Wien noch heute in letzten verlorenen Anklängen. Man gebe sich die Mühe, bei den Verkäufern fliegender Blätter mit Gesängen, Text und Musik ste- hen zu bleiben und ihre Waare ein wenig zu besehen (der Durchgang vom Stephansplatz zur Brandstätte, der Bazar in der Köllnerhofgasse u. s. w. bieten Ge- legenheit). Wenn es in einem dieser modernen Lieder heißt: