Page - 247 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

247 September 1872 45 50 55 60 65 70 75 80 85 chen Sesostris nannten. Die Architektur, die Landschaft am Nil, die Flora dieser Dompalmen, Papyrusstauden, knospenden und blühenden Lotos – alles versetzt uns bis zur Täuschung in das alte Wunderland. Mozarts Partitur verdient diese kostbare Einrahmung völlig, – anders, wenn es sich nur um des großen Schikane- der Textbuch handeln würde, hier wäre die verwendete Gelehrsamkeit eine ver- schwendete und man könnte an den weiland englischen Gelehrten denken, der das Buch „Joe Millers jests“ (eine Art Eulenspiegel) mit Anmerkungen in griechischer Sprache herausgab. Schikaneder würde selbst verwundert dareinschauen, – er hat wohl, wie das curiose Titelkupfer des Original-Textbüchleins zeigt, an ägyptisiren- de Ausstattung gedacht, aber was wußte man denn von Aegypten, ehe es die fran- zösische Expedition Buonaparte’s erschloß? Der gelehrte Wiedner Theaterdirector nennt allerdings auch im Texte einige Male Isis und Osiris, von denen er schwer- lich mehr wußte als die bloßen Namen. Sein Sarastro ist dem Namen nach kein Aegypter, denn offenbar ist dieser Name aus Zoroaster, dem Zoroastro der ehemaligen italienischen Librettodichter, corrumpirt. Aber Sarastro ist für ihn doch der Groß-Kophta (der Groß-Kopte, d. i. Groß-Aegypter, der „König Kophetua, der das Bettelmädchen heiratete“ im Shakespeare, – Groß-Kophta, wie man sagt: Groß-Türke oder Groß-Mogul, d. i. Groß-Mongole), denn der „Brüderbund“, dem Schikaneder angehörte und den er in seiner „Zauberflöte“ in sehr handgreiflicher Weise glorificiren wollte, träumte seinen Ursprung in Aegypten und suchte seine tiefsten Geheimnisse in den Pyra- miden, in denen keine Geheimnisse, aber desto mehr Fledermäuse zu finden sind. Sonst geht es im Textbuch der „Zauberflöte“ sehr unägyptisch zu, vom Vogelmen- schen Papageno anzufangen bis auf die Art, wie bei Berathungen die Priester, statt des berühmten Rhythmus der Hammerschläge, mit Posaunenaccorden abstim- men. Sie sind, wo es sich um Tamino’s Aufnahme handelt, allerdings einig, aber ich habe immer meine Gedanken gehabt, wie es wohl bei anderen Gelegenheiten und Fragen geht, wenn z. B. ein Priester in dem B-dur-Accord seiner Collegen pro voto particulari ein fürchterliches Cis oder Dis hineintrompetet; auch ist es gegen alle Votirordnung, daß, wo Stimmeneinhelligkeit herrscht, der Präsident Sarastro auf seiner Präsidialposaune mitbläst, er sollte höchstens bei „gleich getheilten Stimmen“ dirimendo paria dareintuten. Wenn ich im Text Schikaneders die paus- bäckigsten Weisheitssprüche wunderlich mit den nativen Lauten einer ungebilde- ten, trivialen, ja rohen Natur gemengt höre, fällt mir immer ein aus dem 16. Jahr- hunderte herrührender Scherz in der Ambraser Sammlung ein, ein Arbeitskörbchen in Form eines Polyeders, dessen einzelne Flächen mit Vexirköpfen bemalt sind, d. h. mit Köpfen, deren Zenith man zum Nadir machen kann und umgekehrt, und es erscheint immer ein förmlicher Kopf, es sind also Doppelköpfe. Verzeihe mir Schikaneder, wenn ich bei einem davon immer an ihn und seine „Zauberflöte“ denke – es ist der ehrwürdige Kopf eines langbärtigen Weisen, stürzt man ihn, so werden aus dem langen, spitzen, grauen Barte lange, spitze, graue Ohren und aus dem Philosophen – der geneigte Leser suche gefälligst das Curiosum in der Ambraser Sammlung selbst auf und sehe zu, was aus dem Philosophen wird. Genug – Mozart versetzt uns mit seiner Zauberflötenmusik in eine mähr- chenhafte Zauberwelt (wie Berthold Auerbach in seinem Roman „Auf der Höhe“