Page - 248 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

248 September 1872 90 95 100 105 110 115 120 125 130 in schöner und geistvoller Weise mit begeisterten Worten bespricht), und unsere Ausstattung versetzt uns in das Zauberland Aegypten und so soll denn Schikane- der Absolution haben, sogar für Verse wie: „Doch seht, Verzweiflung quält Pami- nen – wo ist sie denn? – sie ist von Sinnen!“ oder „Holde Flöte, durch dein Spielen selbst wilde Thiere Freude fühlen, nur Pamina bleibt davon“ u. s. w. Wie die „Zauberflöte“ Aegyptisches, so bringt uns das Ballet „Sardanapal“ treu repro- ducirtes Assyrisches, aus den Zeiten, wo dort Könige mit den klangvollen Namen: Nabo-Pal-Assar, Assar-Haddon, Nabo-Gad-Nassar oder Assar-Adan-Pal herrsch- ten, welch’ letzterer der Sardanapal der Griechen und der Held unseres Ballets ist. Und so führen uns die „Meistersinger“ in das herrliche altdeutsche Nürnberg, so sehen wir im „Tannhäuser“, im „Lohengrin“ die dramatischen Personen in der richtigen Tracht, mit der zeitgemäßen Bewaffnung auftreten, die Decorationen zeigen die kunstgeschichtlich-richtige Architektur u. s. w. Unsere Costümezeich- ner, Decorationsmaler vertiefen sich in alte Codices, in alte Malereien, sie machen gelehrte Studien! Es war nicht immer so. Gar nicht zu sprechen von der französischen „Tragé- die“ und der Zeit Ludwig  XIV., von der vor-gluck’schen welschen Prunkoper, wo die Götter und Helden des Alterthums in Allongeperrücken und einer wunder- lichen Umformung römischer Kriegstracht in’s Rococo, die Göttinnen und Heroinnen in Puder, Schönpflästerchen und Reifröcken erschienen, Jupiter gestie- felt die Bühne betrat und die Götterkönigin Juno sich die Schleppe von olympi- schen Pagen nachtragen ließ: noch zu Anfang dieses Säculums sah es in diesem Punkte wunderlich aus. Ein alter Sänger schilderte mir, in welchem Anzuge der italienische Sopransänger M., der ganz Wien entzückte und dessen Kotzebue in den „beiden Klingsberg“ gedenkt, als „Achill“ auf die Bühne kam: ein goldener Harnisch, unter dem ein rothsammtener, goldgestickter Waffenrock bis auf die Kniee herabhing, Tricots, zierliche Halbstiefelchen, ein spanisches Mäntelchen um die Schultern, die Finger der „unnahbaren Hände“ voll Brillantringe, wohlfri- sirte Haare, halb weiß, halb rosenroth gepudert und einen goldenen Helm mit wallenden, bunten Straußfedern darauf gestülpt. Da der Sohn des Peleus und der Thetis im höchsten Weibersopran trillerte, so paßte seine Heldentracht eigentlich recht gut zu dem Uebrigen. Lange Zeit hatten unsere Theater für das Mittelalter (nach den Begriffen der damaligen Theaterdirectoren begann es zur Zeit Karls des Großen und reichte – bis zum Ende des 16.  Jahrhunderts, es giebt aber auch außer den Theaterdirectoren noch jetzt brave Leute, die ihre Begriffe vom „finsteren Mit- telalter“ nach dem 15.  Jahrhundert sich zurechtmachen!) – für das Mittelalter, sage ich, hatten die Theater ein für alle Mal gothische Baukunst und ein conventionel- les Rittercostüm mit steifen Halskrägen, an Brust und Aermeln geschlitzten Röcken, engen Beinkleidern (weißes Tricot oder aber Leder), Kappenstiefeln und, wenn der Held gerüstet auftrat, vollständige Plattenrüstungen, Visirhelme, Unter- diechlinge, Beinröhren, an Ellbogen und Knieen „Meusel“, Eisenschuhe, – kurz Dinge, die selbst noch im 14.  Jahrhundert unbekannt waren. Für alles Antike diente eine Art spätrömischer Tracht u. s. w.; ich habe in einer großen und ein ge- bildetes Publicum beherbergenden Stadt Grillparzers „Medea“ aufführen sehen, wo der Königspalast in Korinth mit mächtigen, kassettirten Gewölben prangte,