Page - 271 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

271 Oktober 1872 65 70 75 80 85 90 95 seine glänzende Begabung und seine vollendet meisterhafte Durchbildung hin- zieht, in Leipzig, in Berlin oder Wien gelebt, sein Name müßte in Ehren stehen, und seine Clavierstücke (Eklogen, Dithyramben u. s. w.) würden mit Recht zu den Schätzen classischer Claviermusik zählen! Aber Prag scheint ein- für allemal das Grab der Componisten zu sein – trotz des stets wiederholten schmeichelhaften Ausspruches den Mozart bei Gelegenheit seines Don Giovanni hören ließ – Wit- tasek, Pietsch, Veit, Kittl sind vergessen, als ob sie nie dagewesen wären, von Franz Brixi (1732–1771), welchem Gott das glänzendste Talent gab und der im Spital starb, wissen die musikalischen Lexika nichts als daß sie das unwahre Wort eines seiner Collegen wiederholen: „seine Musik klinge wie aus der Schenke,“* und Franz Tuma (1704–1774), dessen Messen in DMoll und EMoll Meisterstücke der Bach’schen Richtung sind, ist z. B. selbst im benachbarten Sachsen so wenig be- kannt, daß die Herausgeber der Briefe Moriz Hauptmanns an Hauser (2.  Band S.  171) den Namen „Jama“ gelesen haben. Tomaschek hat sich übrigens in dem weitläufigen Balladen-Genre noch ein zweitesmal versucht – dieses zweite Balla- denstück betitelt sich „die Gründung des Klosters Hohenfurth,“ und entspricht der Länge dieses Titels – das Gedicht ist von der Wiener Dichterin Karoline Pich- ler, gebornen Edeln v.  Greiner, die gleich ihren poetischen Colleginnen Johanna Franul v.  Weißenthurn, gebornen v.  Grünberg, Josephine Perinet [sic], gebornen v.  Kemeter, Helmina v.  Chezy, gebornen v.  Klencke im Diesseits aus der Hippo- krene und im Jenseits aus dem Lethe getrunken. Wenn Tomascheks Auftreten schon nach der Zeit Zumsteegs geschieht, so hatte Zumsteeg seiner Zeit mancher- lei Mitstrebende und Genossen – Andreas Rombergs ganz achtbare Composition zu Schillers „Kindsmörderin“ gehört hieher, ebenso Heckels „Clémence Isaure“ (mit französischem Texte: à Toulouse était une belle, Clémence Isaure était son nom, Lautrec brûla pour elle u. s. w. – es ist die Entstehungsgeschichte der berühmten jeux floreaux), und gewissermaßen selbst Bernhard Anselm Webers „Gang nach dem Eisenhammer“ – wo indes sen der Gesang durch bloße Declamation ersetzt wird, und das Ganze sich melodramatisch gestaltet. Mit Goethe’s „Erlkönig“ als Stoff für musikalische Composition gieng es vollends wie weiland zur alten Niederländerzeit mit dem omme armé, oder in der Zeit der italischen Hof- und Prunk-Oper mit dem Textbuche der Olympiade. Nach Zumsteeg und vor Löwe ist auf diesem Gebiete nur Franz Schubert zu nennen. „Erlkönig,“ „Ritter Toggen- burg,“ „der Zwerg“ – wer kennt nicht diese Compositionen? Weniger bekannt ist der „Taucher“ – eine richtige Bandwurm-Ballade, die ein ganzes dickes Musikheft füllt und die also kein Mensch singen mag, die indessen Beethovens Erstaunen erregte und ihm den Ausruf entlockte: „In dem Stücke da sind ja drei, vier andere * Fétis bemerkt dazu: Il est d’autant plus singulier que Brixi ait adopté une manière si peu con- forme à la nature de ces œuvres (nämlich Messen), qu’il était, dit on, de la plus grande force dans le style fugué sur l’orgue. Hätte Fétis die Messen Brixis’s gesehen oder gehört, so würde er in diesen vortrefflichen Werken wahre Muster echten Kirchenstyls und die grande force dans le style fugué gefunden haben. Ein Consortium in Prag hat sie herausgeben wollen – ich glaube es ist unterblieben. Prag ist für dergleichen kein Boden. Aufgeführt werden aber diese Messen in Prag als besondere Fest- und Schmuckstücke. D.  E.