Page - 273 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

273 Oktober 1872 145 150 155 160 165 170 nahmen wo Zelters Compositionen nicht veraltet sind, und eigentlich von Haus aus ganz und gar unbedeutend heißen müssen, diese Ausnahmen aufzufinden dürfte seine Schwierigkeiten haben. Mit allem möglichen Respect vor „Goethe’s eigenen Augen und Ohren“ sei es gesagt, aber sie waren gar keine Garantie dafür daß unter ihrer Controle gute Musik entstehe. Goethe schrieb allerdings gleich in seinem ersten Brief an Zelter über dessen ihm zugekommene Compositionen: „daß er der Musik so herzliche Töne nicht zugetraut haben würde“ – er schrieb es zu einer Zeit wo er, wie wir aus seinen Tag- und Jahresheften wissen, Mozart längst kannte, wo er dessen Entführung aus dem Serail, Don Juan und Zauberflöte längst auf das Theater gebracht. Woraus also folgt daß, wenn man Goethe’s Autorität auch auf diesem Gebiete für maßgebend gelten lassen will, Zelter über Mozart steht, und daß z. B. Pamina’s G-moll-Arie keine so „herzlichen Töne“ anschlägt als Zelter ihrer mächtig war. Aber wahrlich: wenn, wie Zelter selbst in einem seiner Briefe an Goethe meint, die landschaftliche Umgebung den Musiker anregt, und wenn z. B. im Styl Palestrina’s und seiner Genossen etwas von der einfachen Größe der römischen Campagna und dem edlen Linienzug der Albaner- und Sabinerber- ge zu finden sein möchte, und in Alessandro Scarlatti, Leo, Pergolese etc. etwas von dem sonnigen Himmel und dem blühenden Lande Neapels, und die Musik der Venetianer uns einen der architektonischen Marmorpracht und der eigen- thümlichen Romantik der Lagu nenstadt analogen Eindruck machen mag – so ist Zelters Musik die richtige Hasenhaide bei Berlin, oder die Gegend von Jüterbogk mit ihrer dürren Sandöde und ihren trockenen Kieferwäldchen, wo nimmer eine Nachtigall schlagen mag und keine erfrischende Quelle sprudelt. Meint doch Otto Jahn: Goethe habe sicherlich die Compositionen Zelters allen übrigen hauptsäch- lich deßwegen vorgezogen weil sie zu seinen Gedichten so wenig Musik als mög- lich hinzu brachten. Reichardt ist weitaus der bessere und bedeutendere, trotz der bittern Xenie mit welcher er sehr ungerechter Weise bedacht worden: „frostig und herzlos ist der Gesang u. s. w.“ Seine so überaus einfache Composition des „Erl- königs“ bleibt immer eine der besten des Gedichts. (Fortsetzung folgt.) Erläuterungen 3 εἰ δὲ μὴ Φρῦνις, Τιμόθεος οὐκ ἂν ἐγένετο.] griech. „Wenn aber Phrynis nicht gewesen wäre, wäre Timotheos nicht gewesen.“ Aristoteles, Metaphysik II,1,993b,11–16. Der griech. Kitharode Phrynis aus Mytilene (floruit um 450–420 v.  Chr.) wurde später in einem dithyrambischen Wettbewerb durch Timotheos von Milet (um 450–um 360 v.  Chr.), einen Vertreter der „neuen Musik“, besiegt. ◼ 5f. einen Artikel mit der Ueberschrift „Der Balladen-Löwe,“] veröffentlicht unter der Sigel „M-y“ in: AZ-Beilage (1872), Nr.  224, 11.  August, und in: AZ (1872), Nr.  225, 12.  August. Ambros selbst hat bereits 1860 einen Essay über Loewe publiziert: „Karl Löwe, der Romantiker“, in: Culturhistorische Bilder, S.  97–104. ◼ 11f. „Edward,“ „Der Wirthin Töchter- lein,“] Nrn.  1 und 2 aus 3 Balladen op.  1. ◼ 12 „Der Mönch von Pisa,“] „Der Mönch zu Pisa“ op.  114. ◼ 12 „Prinz Eugenius“] „Prinz Eugen, der edle Ritter“ op.  92. ◼ 14 Pischek] Jan Křtitel Pišek (1814–1873), Bariton; 1835 Debüt am Ständetheater in Prag, 1844–1863 an der Hofoper in Stuttgart. ◼ 14f. Essers Composition zu „Des Sängers Fluch“] Heinrich Esser, „Des Sängers Fluch“ op.  8. ◼ 15 Speiers „Drei Liebchen“] Wilhelm Speier (1790–1878), „Die drei Liebchen“