Page - 281 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

281 Oktober 1872 85 90 95 100 105 110 115 120 125 Galopp, die donnernden Brücken, das klirrend auffliegende Gitterthor, des „Rei- ters Koller, das Stück für Stück wie mürber Zunder abfällt,“ das Versinken des Rappen. In der „Elwine“ wird die dumpfe ahnungsvolle Stille vor dem Gewitter, der losbrechende wilde Seesturm, das „Donnern der Woge am ehernen Strand“ ausführlich und glücklich geschildert – in der Pfarrers tochter sogar mit geradezu peinlicher Deutlichkeit die „wilden unsäglichen Schmerzen“ womit die arme Rosette dem Knaben in der Laube das Leben gibt! Zumsteeg hörte auch sehr fein wo schon der Dichter mit Worten gemalt, er fühlt daß Verse wie „Rapp’! Rapp’! mich dünkt der Hahn schon ruft, bald wird der Sand ver rinnen, Rapp, Rapp, ich wittre Morgenluft“ oder „mich hacken die Raben vom Rade,“ auch ohne Musik schauer lich und entsetzlich klingen, und er hütet sich wohl die Malerei des Dich- ters mit seiner Musik zu übermalen, und zu übertönen. Er charakterisirt über- haupt sehr gut und glücklich – während z. B. der gespenstige Reiter vor Lenorens Thüre sich bei Tomaschek gleich wie der Comthur im Don Juan ankündigt, und Lenore mit einem sehr harten Kopf hätte erwacht sein müssen, um nicht sofort etwas Unheimliches zu merken, läßt Zumsteeg seinen „Wilhelm“ wie einen kecken im Krieg etwas verwilderten Reiter sprechen (wie er ja auch im Texte thut); erst nach und nach tritt das Unheimliche mehr und mehr hervor. Der pathetische Anfang der Lenore ist würdig und bedeutend, trefflich contrastirt der frohe Jubel- marsch des heimziehenden Heeres. Aber für stärkste Gemüthserregungen reicht Zumsteegs Kraft nicht aus, er malt Lenorens Verzweiflung, so sichtlich er sich anstrengt mit matten Farben, und die ganzen langen Wechsel reden zwischen Mutter und Tochter werden entschieden langweilig (diese Partien sind bei Tomaschek dagegen ganz vortrefflich, voll Leben und Feuer). Auch der Fluch den die arme Rosette dem Junker v.  Falkenstein ins Gesicht schleudert, klingt bedenk- lich zahm – nur die Stelle „sieh her, mit Jammer und Hohn“ leuchtet kräftig he- raus; sie erinnert merkwürdigerweise an Glucks musi kalische Diction. Etwas besser geht in ihrem Zorn „Elwine“ ins Zeug. Diese Ballade (sie er- schien 1801) ist als Gan zes genommen der Lenore nicht gleichzustellen, im Ein- zelnen aber hat sie unter allen vielleicht die wenigsten Flecken und schwachen Stellen. Die Dichtung des Frhrn. v.  Ulmenstein ist spaßhaft genug. Ein Pärchen, Fried rich und Elwine, lebt nicht fern vom Ufer der östlichen See in einer überaus fruchtbaren Gegend voll Viehzucht, Bienenzucht u. s. w. – vermuthlich also in Hol stein. Sein „Hüttchen und Gärtchen ist der Wohnsitz der Zufriedenheit,“ bei Arbeit und Fleiß schmeckt ihm so herrlich sein Näpfchen mit Reis. Da führt der böse Feind zwei Nabob-Kaufleute aus Indien mit Seidenstoffen, Edelsteinen u. s. w. her (was die nur im „Hüttchen und Gärtchen“ zu suchen haben? Bei dem mit Reis- brei zufriedenen Pärchen können sie doch nicht auf Ab satz ihrer indischen Luxus- waaren rechnen!) Das reizt des Mannes hochfahrenden Sinn – er will auch reich werden. Heutzutage würde Friedrich sich vermuthlich aufs Börsenspiel legen, der Mitgründer einer Bank wer den, damals war die Sache weitläufiger; er macht sich bei Nacht und Nebel heimlich davon, nach Ostindien. Elwine läßt jetzt alles was in der Oper je „Didone abbandonata“ oder „Arianna“ geheißen hat, hinter sich zurück. Sie flucht dem Flüchtling buchstäblich alle Wetter auf den Hals, und er- sucht die See den treulosen Mann auf ewig zu verschlingen, und als ihr nun die