Page - 289 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

289 Oktober 1872 130 135 140 145 150 155 160 165 170 Gieseke, der erste Uebersetzer ins Deutsche (in den neunziger Jahren), glaubte bei dem damaligen Aufflug „deutscher Gesinnung“, zu dem Klopstock das Signal ge- geben und die dann durch die französischen Kriege zurückgedrängt wurde, um 1813 bis 1815 neu, aber in veränderter Gestalt, nicht mehr mit dem blauen Werther- Frack, sondern im dunkeln Waffenrocke der „wilden Jagd Lützows“ aufzutauchen – Gieseke glaubte dem Texte Da Ponte’s dadurch für Deutschland aufhelfen zu können, daß er Alles deutsch umfärbte und localisirte; aus Fiordiligi und Dorabella wurden „deutsche Mädchen“ Julchen und Lottchen, aus Despina ein Nantchen, aus Guglielmo ein Wilhelm u. s. w. Die wirklichen deutschen Mädchen hatten schwerlich Ursache dem Uebersetzer sonderlich dankbar zu sein! Dazu kamen im Texte Gemeinheiten und rohe Geschmacklosigkeiten, wie wenn „Wilhelm“ die Arie Guglielmo’s „donne mie, la fate a tanti“ u. s. w. im deutschen Texte mit den Worten beginnt: „Mädchen, Füchse (!) seid ihr alle[,] alle, alle“ u. s. w. Daß jene jämmerliche Bearbeitung für uns unmöglich geworden, steht außer Zweifel. Aber es ist eine Frage, ob die, welche uns dermal unter Louis Schneiders Firma geboten wird, besser ist. Vor Allem ist es ein kaum glücklicherer Einfall als Gieseke’s deutschthümeln- des Buch zu „Die Mädchen sind von Flandern“ (so nämlich wurde der Titel Cosi fan tutte gedollmetscht, damit die Albernheit und Geschmacklosigkeit gleich beim Titel beginne!), wenn Schneider die Geschichte nach Spanien versetzt. Mit dem ernsten, man darf fast sagen herben, stolzen, edeln und feurigen Charakter des Spaniers, mit seiner angebornen Grandezza, die bis in den sonoren Klang seiner Muttersprache hinein fühlbar ist, steht die ganze leichtgefügte und leichtgeschürz- te und leichtherzige und leichtfertige Cosi fan tutte-Geschichte in schreiendem Widerspruch. Schon die prächtig-feierlichen Namen, welche uns der Theaterzettel zu lesen giebt (Donna Isabella del Carmen, Don Fernando D’Aquilar, Don Alfon- so, Marquez del Rio u. s. w.), Namen, die wie „Orgelton und Glockenklang“ anzu- hören sind, passen in keiner Weise zu dem, was ihre Träger in der Oper thun und lassen. Despina wird gar zur Dolores umgetauft! Der Name paßt wie die Faust aufs Auge. Ueberdies durchdringt Mozarts Musik so sehr den ganzen Text oder wird, wenn man will, so sehr vom Texte (oft bis auf die Betonung des einzelnen Wortes) durchdrungen, daß jede vermeintlich bessernde Aenderung so ziemlich ein operirender Schnitt in gesunde Gliedmaßen, das heißt mit anderen Worten eine Verwundung und Verstümmelung ist. Nimmt man z. B. ändernd an, daß die Mädchen ihre verkleideten Liebhaber erkennen und sie mit scheinbarer Untreue nur necken, so versichert uns dagegen Mozarts Musik in jedem Tone, daß sie emp- finden, wahr, warm, innig, von ganzem Herzen empfinden, daß es ihnen bei der Sache voller Ernst ist – Text und Musik treten mit einander in einen nicht zu ver- einigenden Widerspruch! Treitschke’s Einfall, aus Alfonso einen Zauberer, eine Art Prospero, aus Despina einen verkappten dienenden Geist, einen Ariel zu machen, war freilich wo möglich noch horribler. Das einzig Mögliche hat in wirklich sehr geistvoller Weise Oulibicheff getroffen: die Mädchen (schlägt er vor) sollen in jener unzarten Liebes- probe über ihr Herz erst klar geworden sein und der thatsächlich erfolgte Wechsel- tausch soll schließlich ratificirt werden. Abbate da Ponte hatte die für einen so