Page - 310 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

310 November 1872 190 195 200 205 210 Eine Symphonie von Franz Schubert schloß das Concert oder eigentlich eine Uebersetzung des Duo, Op.  140, aus dem Pianoforte ins Orchestrale. Joachim, der Uebersetzer, hat die Aufgabe glänzend gelöst. Schon Rob. Schumann hatte an- fangs das Klavier-Duo für eine arrangirte Symphonie gehalten und war nur durch Schuberts eigenhändige Bezeichnung auf dem Originalmanuscript eines Anderen zu belehren. Man höre ja, meinte Schumann, ganz deutlich, selbst auf dem Kla- vier, die Orchestertutti, Horn- und Oboeneinsätze, Paukenwirbel u. s. w. Joachim hat das alles auch gehört und an rechte Stelle hinzuschreiben gewußt. Seine Be- arbeitung macht durchaus den Eindruck eines Originalwerkes – sie sagt exote- risch, was esoterisch in dem Schubert’schen Klavierstück verborgen ist. Die An- klänge an Beethovens zweite und siebente Symphonie hat schon Schumann bemerkt. Kaum ein anderes Werk Schuberts läßt die directe Einwirkung Beethoven’scher Vorbilder so deutlich erkennen als dieses dennoch originelle und echt Schubert’sche Duo. Auch darin ist es echt schubertisch, daß Freund Franz im Finale wie ge- wöhnlich die Ausgangsthüre eine gute Weile sucht, ehe er sie endlich findet. Er gleicht in der That in seinen größeren Instrumentalwerken ein wenig dem Blutegel des Horatius im Schlußvers des Pisonen-Briefes. Schumann zählt das Duo (mit Recht) zu Schuberts besten Arbeiten – „wir haben eine Symphonie mehr“, sagt er. Jetzt haben wir sie durch Joachim wirklich und wahrhaftig, und wir danken ihm dafür! Ueber Bülows glänzenden Chopin-Abend kann ich mich kurz fassen. Das be- denkliche Experiment, Chopin und wieder Chopin und noch einmal Chopin zu bringen, ist vollständig gelungen und Herr von Bülow hat uns abermals neue Seiten seiner reichen Künstlernatur kennen gelehrt. Ich behalte mir darüber das Nähere noch seiner nächsten Soirée vor. Rezensierte Veranstaltungen Erstes Gesellschaftskonzert der GdM, 10. November 1872, MVgr. ◼ Zweites Konzert von Hans von Bülow, 7.  November 1872, MVkl. Rezensierte Werke Johannes Eccard: „Übers Gebirg Maria geht“ ◼ Georg Friedrich Händel: Te Deum (Dettinger Te Deum) HWV  283 ◼ Isaac: „Inspruck, ich muß dich lassen“ ◼ Mozart: „Ch’io mi scordi di te?“ KV  505 ◼ Schubert: Klaviersonate („Grand-Duo“) C-Dur D  812 (Orchesterbearbeitung von Joseph Joachim) Erläuterungen 13–15 wir behalten uns vor, … ein Wort zu sagen] → Nr. 88. ◼ 20 Brausen … woher er kommt] Freizitat aus: Bibel, Joh  3,8. ◼ 21f. „des Gesanges … Quellen“] Freizitat aus: Schiller, Gedicht „Die Macht des Gesanges“. ◼ 27f. im Geiste und der Wahrheit] → Nr.  11/Erl. zur Z. 96. ◼ 29 Berufung Brahms’] Den Posten des künstlerischen Direktors der GdM hatte Brahms vom Dezember 1871 bis 3.  April 1875 inne. ◼ 46f. Chrysanders und Gervinus’ unbedingte Bewunde- rung] Friedrich Chrysander (1826–1901), Händel-Herausgeber und -Biograph; Georg Gottfried Gervinus (1805–1871), Übersetzer von Händels Vokalwerken. ◼ 50 perfido traditore] it. „ge-