Page - 347 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

347 Dezember 1872 50 55 60 65 70 75 80 herrliche Trauermarsch im dritten Act – eine der glücklichsten Inspirationen Donizetti’s. Im vierten Act zeichnet sich ein großes, sehr wohlklingendes und wir- kungsvolles Ensemble aus. Fiele nur der letzteste Schluß der Oper nicht so gar unglaublich kahl und leer ab! Unbegreiflich, daß der Poet nicht auch hier zu „ernstlicher Besserung“ verhal- ten wurde. Ueberhaupt aber ist unter seinen und Donizettis’ Händen der ritter- lich-abenteuerliche Portugiesenkönig zu einem jener knabenhaften, schwächlichen Gefühlstenore geworden, an denen die moderne Oper so reich ist. Daß er Zayda den Händen der Inquisition entreißt, ist das Einzige, was er wirklich thut, im Uebrigen wird mit ihm die ganze lange Oper hindurch herumgeschoben wie mit einer Schachfigur. Die Aufführung verdient jedes Lob: Frau Friedrich-Materna’s Leistung als Zayda war glänzend, Herr Walter als Sebastian, Herr Beck als Camoens, Herr Labatt als Abayaldos reihten sich würdig an – und die Herren Rokitansky, Lay und Hablawetz wendeten an ihre wenig dankbaren Rollen alle Sorgfalt. Chöre und Orchester vorzüglich wie immer. Das Ballet im zweiten Act würde durch tüchtige Kürzung gewinnen. Einer der Solo tanzenden Damen passirte das spaßhafte Ver- sehen, daß sie am Hofe des Mahomedaners Ben Selim zu Fez mit dem Hals- schmuck von Pope’s Belinde tanzte: „on her white neck a cross she wore, which might infidels adore“. Die Ausstattung der Oper ist geradezu blendend. Gewährt schon im ersten Act der Hafen von Lissabon mit den großen Kriegsschiffen, den hin- und herfah- renden Barken, der Truppeneinschiffung ein äußerst lebendiges und ansprechen- des Bild, so ist der Begräbnißpomp im dritten Act vollends großartig und zugleich ein Stück archäologischen Studiums – er reproducirt genau das Begräbniß Karls  V., wie es die k. k. Hofbibliothek in gleichzeitigen bildlichen Darstellungen bewahrt. Wir fühlen uns wie durch Zauber ins 16. Jahrhundert versetzt – die Hellebar- diere, die Riesenfahnen, die Magistratspersonen in ihren Talaren, die Pagen, die Herolde, die Heerschaar von Mönchen mit flammenden Kerzen in Händen und zuletzt der riesenhafte Leichenwagen von vier Pferden gezogen! Das Publicum ap- plaudirte mit vollem Rechte auch der Ausstattung und insbesondere den schönen neuen Decorationen des Herrn Brioschi. A. W. Ambros. Rezensierte Veranstaltung Donizetti, Dom Sebastian, 12. Dezember 1872, Hofoper Erläuterungen 7 seit vielen Jahren zurückgelegt] In Wien wurde die Oper zum letzten Mal 1865 gespielt. ◼ 17 „Don Sébastian me tue“] frz. „Don Sebastian bringt mich um.“ ◼ 21f. Donizetti verließ … componirte.] An der Oper Caterina Cornaro arbeitete Donizetti bereits 1842, also noch vor der Pariser Uraufführung von Dom Sébastien im November 1843. ◼ 46 des Textdichters] Eugène Scribe nach der Tragödie von Paul Henri Foucher. ◼ 68f. „on her … adore“.] Original: „On her white breast a sparkling cross she wore, / Which Jews might kiss, and infidels adore.“ („Über ihrem weißen Busen wird ein funkelnd Kreuz erblickt, / Das ein Jude küssen möchte, wovor sich