Page - 350 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

350 Dezember 1872 85 90 95 100 105 110 115 120 125 „zum Namensfeste unseres Kaisers“ (Franz), wie Beethoven beschrieb, aufgeführt. Trotzdem ist sie kein Gelegenheitsstück, hat auch gar nicht den rechten Charakter einer Festouverture – sie trägt in ausgesprochenster Weise den Typus der Werke aus jener Schaffensperiode des Meisters – ja merkwürdiger Weise tönt darin etwas nach wie ein Echo der um zwei Jahre älteren siebenten Symphonie – zu der sich die Ouverture allerdings verhält wie etwa ein im Wasser erscheinendes gestürztes, blässeres und in den Umrissen mehr verschwimmendes Spiegelbild. Die Hand des Riesen erkennt man aber am Ende doch überall. Für viele andere und achtbare Componisten würde ein Werk dieses Gehaltes zum Besten zählen, bei Beethoven geht es so mit darein. Er selbst scheint aber doch einen eigenen Werth darauf ge- legt zu haben – der Titel der Originalausgabe zeigt statt des gewöhnlichen „com- ponirt von L.  v.  B.“ die eigene Stylisirung „gedichtet von u. s. w.“ Ein Violinconcert von Spohr, echt künstlerisch gespielt von Herrn Krancze- wicz, trug dem ausgezeichneten Geigenspieler reichen Beifall ein, wobei ich jedoch nicht verschweigen kann, daß mir schien, als habe sein Ton nicht ganz die Wärme, Fülle und Beseelung, welche besonders Spohr’sche Sachen erheischen. Sehr und besonders gelungen war das Larghetto. Das Florentiner Quartett hat bisher zwei Soiréen gegeben – über seine glän- zenden Vorzüge noch etwas zu sagen, ist kaum nöthig. Ich erinnere mich noch mit Vergnügen der Zeit, wo ich das vierblättrige Kleeblatt eine Saison lang an Ort und Stelle, das ist in Florenz, in dem gemüthlichen Saale oder Sälchen der Via degli Albizzi hörte. Wie eigen es damals mich berührte, unmittelbar nach dem Anblick von Michel Angelo’s David und Cellini’s Perseus die vertrauten Töne Beethovens, Mozarts und Mendelssohns zu hören und dabei durch die Glasthüre des Saales aus dem benachbarten Garten die Orangenbäume hereinblicken zu sehen! Was die Herren damals schon glänzend versprochen, haben sie seitdem voll und ganz ge- leistet: „vier Instrumente und Eine Seele“. Eine Novität von V.  Lachner, welche sie uns diesmal unter Anderem brachten, wollte uns aber nicht eben munden – die C-dur-Tonleiter (hier eine wahre Folterleiter), über welche der Componist endlose Meditationen in Gestalt eines Streichquartettes geschrieben, stieg noch 24 Stun- den nachher in meinem Kopf auf und ab. Desto besser behagte der alte Haydn; ob es aber zulässig ist, in ein Quartett einen Satz aus einem anderen einzuschalten? Eine Novität, die im Quartette des Herrn Concertmeisters Hellmesberger zu Gehör kam, gefiel sehr: ein Octett vom jüngeren Grädener. Die gleichzeitig statt- findende erste Aufführung des „Dom Sebastian“ im Hofoperntheater hinderte mich, das Werk hören zu können; die mir freundlichst gestattete Einsicht der Par- titur ließ mich die gelungene Arbeit eines achtbaren, wohl ausgebildeten Talentes erkennen. Es ist wirklich ein Octett, kein bloßes Doppelquartett – Manches, z. B. das Thema der Variationen im dritten Satze, besonders glücklich erfunden. Das Hofoperntheater brachte Sonntags „Dom Sebastian“ bei gedrängt vollem Hause, Tags vorher den „Freischütz“, wobei uns das „Aennchen“ der Frau Koch die ange- nehme Ueberzeugung gab, daß die Sängerin sich im neuen Local und der neuen Umgebung bereits zurechtgefunden, und endlich Dinstag eine Vorstellung des „Fidelio“, über der ein ganz eigen günstiger Stern schwebte. Nicht leicht habe ich Publicum und Künstler in gleichem Maße animirt gesehen – es war wie ein Fest-