Page - 365 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

365 Jänner 1873 65 70 75 80 85 90 95 100 105 „ihr habt mein Volk verführt“ u. s. w., so ist das einfach der Protest der Tyrannis gegen das Edle und Hohe, weil es das Edle und Hohe ist. Hoplit meint nun bes- tens motiviren zu müssen und so erfahren wir denn gleich im ersten Duett zwi- schen Harfner et Sohn, daß der Letztere eine zärtliche Bekanntschaft mit der Königin, als sie noch keine gewesen, gehabt habe; als die Sänger die Ballade vom König Sifrid anstimmen (sie hörten nämlich „solch blutige Mähr’ aus Meister Ludwigs Mund, als sie durch Schwaben zogen her“), so wittert der König persön- liche Ausfälle, wie Immermanns Schulmeister Agesel in den Erzählungen Münch- hausens, wenn aber der König „für sich“ sagt: „Die heimliche That hat keiner ge- sehn, das Lied ist Verrath“, so paßt diese Bemerkung zum Inhalt der Ballade, wie ein viereckiger Deckel auf eine runde Schachtel. Dann begehen die Sänger gar die Unvorsichtigkeit ein Stück liberal-politischer Poesie vorzutragen, der König läßt es zu unserem Erstaunen noch hingehen, da ihn die Königin beschwichtigt, es sei ja bloßes Citat: „Die Sänger ehrten den Meister nur, der dieses Lied erdachte“ – als aber zuletzt der Jüngling gar den Einfall hat, mit der Königin im Angesicht des ganzen Hofes ein endloses Liebesduett anzustimmen, eine Kühnheit, welche das Erstaunlichste heißen müßte, wäre es nicht noch erstaunlicher, daß König und Hofstaat bei diesem erzlangweiligen Gesange nicht einschlafen, so wird es dem Könige doch zu bunt, jetzt schreit er: „mein Volk habt ihr“ u. s. w. (den so schönen und kurz bezeichnenden Zug mit der geworfenen Rose hat Hoplit gestrichen.) Aber Himmel, welche Ueberfülle componirbaren Stoffes steht den Tonsetzern in Aussicht, wenn man erwägt, daß ja jede Ballade solcher Bearbeitung fähig ist; – Schillers „Bürgschaft“ kann z. B. mit einer Arie des Möros anfangen: „zu Dyonis dem Tyrannen schleich ich, schleich ich, schleich ich, den Dolch im Gewande, im Gewande“, dann Duett zwischen Dyonis und Möros: „was wolltest du mit dem Dolche, sprich u. s. w.“ und dazu etwa Chor der Höflinge: „welch’ unerhörte Kühnheit, er büße seine That“, – dann Duett zwischen Möros und dem treuen Freund, der, statt ihn „schweigend zu umarmen“, etwa singen könnte: „vertrau’ dem treuen Freunde, denn er verläßt dich nicht“, und dazu Möros: „ja, ich vertrau dem Freunde, denn er verläßt mich nicht“, späterhin etwa Cavatine des Freundes: „mir kann den muthigen Glauben der Hohn des Tyrannen nicht rauben“, oder allenfalls als Duettino mit dem Kerkermeister, der dazu singt: „ihm kann den muthigen Glauben u. s. w.“ Es kann eine Weile dauern, bis wir die ganze deutsche classische Literatur in dieser Gestalt besitzen – desto besser aber! Schumanns Musik zu des „Sängers Fluch“ trägt, wie gesagt, die Züge trauriger Ermattung und Essers blanke Composition der Ballade, wie sie ist, für eine Singstimme, wirkt entschieden weitaus glücklicher. Wo der Urtext des Gedichtes als Erzählung vor- liegt (welch’ fataler Nothbehelf ist die „Erzählerin“), trifft Schumann den Balla- denton recht gut – bei allen Zwischensätzen des Textes aber ist es, als gieße ihm ein böser Geist Wasser in die Tinte, das Lied des Jünglings „in den Thalen der Provence“ etwa ausgenommen, wo etwas von provençalischem Trouvère-Ton (modern gedacht) durchklingt, ähnlich wie etwa im ersten Gesange von Webers Adolar. Der eigentliche Fluch des alten Sängers könnte vielleicht äußerlich noch heftiger sein, er hat aber etwas Ergreifendes. Das sind leidliche Oasen in der Wüs- tenei des Ganzen. Möge bald eine Aufführung der Peri- oder der Manfred-Musik