Page - 369 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

369 Jänner 1873 20 25 30 35 40 45 50 55 60 besonders in seinen früheren Werken, so anziehend und so liebenswürdig sind, bis zur Manierirtheit getrieben; mit einem Gleichnisse zu sprechen: der frische, erqui- ckende Saft der ersten Früchte aus Mendelssohns Garten ist hier zum Fruchtsyrup verdickt, welcher wohl noch den richtigen, aber unangenehm aufdringlich gewor- denen Geschmack hat. So überaus „mendelssohnisch“ ist dieses Tonstück, daß man gar nicht glauben sollte, es sei von ihm selbst, sondern eher von irgendeinem seiner Nachahmer. Lieber hätten wir wieder einmal seine wunderschöne, poeti- sche „Melusinen“-Ouverture gehört, welche er auf keinen anderen Befehl compo- nirte als auf den seines Genius. Wir hätten sie als Einleitung zu Julius Zellners „Melusinen“-Musik mit doppeltem Interesse gehört und der jüngere Tonsetzer hätte nicht Ursache gehabt zu klagen, daß für ihn die Nachbarschaft etwa eine gefährliche sei, denn seine Musik ist so aus ganzem Herzen und mit vollem Antheil an der Sache (mit größter künstlerischer Ehrlichkeit, könnte man sagen) geschaf- fen und manifestirt sich überall so sehr als Werk eines respectablen Talentes und eines bedeutenden, ja meisterwürdigen musikalischen Wissens und Könnens, daß sie sich immer mit bescheidener Kühnheit nach dem anderen Werke hören lassen dürfte. Vollends wenn man sich der krampfhaften Anstrengungen so mancher und vieler jüngeren Tonsetzer erinnert, das Unerhörte zu leisten, immerfort bedeu- tend, geistreich, kolossal zu sein und uns in jedem Tacte zuzurufen: „ich bin ein Genie“ – vollends dann wirkt Julius Zellners Musik wahrhaft erquickend. Der Beifall des Publicums, der nach der ausgezeichnet schönen ersten Nummer dieser musikalischen Pentalogie und (zu unserer Verwunderung) auch nach der zweiten, dem glänzenden, effectvollen Hochzeitsmarsche, etwas reservirt klang, wurde nach dem innigen, gesangvollen dritten Satze sehr warm und erhielt sich bis zum Schlusse, wo dann Zellner drei Mal gerufen wurde und mit so liebenswürdiger Bescheidenheit heraustrat, als wolle er sich beim Publico darüber entschuldigen, etwas so Schönes geschaffen zu haben. Zellners Erfolge werden sich mehr und mehr steigern, je öfter das Publicum seinen Namen lesen und hören wird. Denn der Name des Tondichters ist am Ende beim Publico doch der wunderwirkende Schemhamphorasch, es dauert aber eine Weile, ehe es einen neuen Namen behält, da sein Gedächtniß schon an so viel alten zu schleppen hat. Mendelssohn wurde zu seiner „Melusinen“-Ouverture bekanntlich durch ein Gemälde der Düsseldorfer Kunstausstellung angeregt, welches vermuthlich Düsseldorfer romantisches Mittelgut von der Art, die jetzt total außer Curs und Credit ist, gewesen, da nie etwas Weiteres davon verlautet hat. Verdienstes genug, daß wir ihm eine der schönsten Tondichtungen der Neuzeit danken. Daß und wie Mendelssohns Ouverture von Moriz Schwind – nach den einzelnen Motiven und Momenten – in seinen mit Recht berühmt gewordenen „Melusinen-“Bildern aus dem Musikalischen ins Malerische übertragen worden, habe ich in meinen bunten Blättern (S.  119 bis 127) nachzuweisen gesucht. Julius Zellner sieht Schwinds „Melusina“ und, wie alle Welt, sieht er sie mit Entzücken; sein Entzücken fixirt sich, so zu sagen, oder, besser gesagt, wird laut in fünf symphonischen Sätzen oder Sätzchen, wo hinwiederum Schwinds „Melusina“ aus dem Malerischen ins Musi- kalische übersetzt ist. So geht der Stoff zwischen Maler und Musiker hin und her – und so weit ist’s bisher, denn daß der Zeichner der seinerseits Zellners fünf