Page - 379 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

379 Jänner 1873 30 35 40 45 50 55 60 65 70 wanken begänne und es den Anschein bekäme, als solle der musikalische Terroris- mus unserer Tage, der gar nicht mehr nach dem Werthe eines Werkes fragt, sondern nur: zu welcher Partei sein Schöpfer gehört – der auch schon Miene zu machen anfängt, sich dem Besten mit Spießen und Morgensternen in den Weg zu stellen, wenn es nicht die Signatur des Parteizeichens auf der Stirne trägt, auch dieses reine Kunstasyl nicht verschonen wollen: dann könnte man es den Idealis- ten nicht übel nehmen, wenn sie erschräken. Am 26. Jänner 1873 wurde im philharmonischen Concerte im großen Musik- vereinssaale zu Wien die Symphonie in D-moll von Robert Volkmann zur Auffüh- rung gebracht und – ausgezischt. Wenigstens mischten sich in den spärlichen Schlußapplaus opponirende Zischlaute. Der Leser, welcher etwa diese Composi- tion, die auf dem Gebiete der Instrumentalmusik sicher zu dem Bedeutendsten gehört, was seit Beethoven geschaffen worden, welche den beiden ersten Schu- mann’schen Symphonien völlig ebenbürtig, der dritten [sic] Symphonie Schu- manns aber, welche wir jüngst gehört, entschieden überlegen ist, dieses Werk voll Geist, Kraft und Originalität kennt, wird meinen, er habe nicht richtig gelesen. Ich schreibe es also ihm zu Gefallen noch einmal her: nach Volkmanns D-moll-Sym- phonie wurde gezischt. Wohlgemerkt: nach der allervortrefflichsten, von Lust und Liebe der Mitwirkenden beseelten Aufführung und nachdem dasselbe Werk an derselben Stelle vor einigen Jahren einen bedeutenden Erfolg gehabt. Wie ist das möglich? Ganz einfach. Die Karten sind seitdem zu einem neuen Robber gemischt worden und das Publicum hat andere Blätter in die Hand bekommen, daher es auch begreiflicher Weise andere Farben ausspielt. Und nicht eigentlich das Publi- cum; dieses suchte gegen den Schluß des letzten Satzes hin mit gewöhnlicher Hast das Weite und konnte nicht applaudiren, weil es beide Hände mit dem Zuknöpfen des Rockes und dem Hutaufsetzen beschäftigt hatte, sondern eine kleine, muthige Schaar, welche alle Götter stürzen möchte, um uns ihre Götzen aufzuzwingen, neben denen wir keine anderen Götter haben sollen. Wir werden indessen unserem bisherigen Glauben schwerlich untreu werden! An Volkmann selbst haben wir nur die eine Bitte: er sei so gütig, zu sterben und fünfzig Jahre todt zu sein – möglich, daß wir dann ein „Volkmann-Monu- ment“ erleben. Wenn diesmal ein bedeutendes Werk von ihm geradezu mißfallen hat, so war die Schuld nicht – seinerseits. Goldmarcks Ouverture zur „Sakuntala“, eine poetische, farbenprächtige Tondichtung, begrüßten wir mit Freuden, wie denn Goldmarck zu den besten unter den jüngeren Tonkünstlern gehört und nur mit seinen Gaben etwas zu selten ist. „Man darf das Publicum nie vergessen lassen, daß man existirt“, pflegte Mendelssohn zu sagen. Wie wir hören, hat Goldmarck bei der Direction des k. k. Hofoperntheaters die Partitur einer Oper eingereicht: „Die Königin von Saba“. Stimmen, welche für uns von größtem Gewichte sind, bezeichnen uns das Werk als bedeutend und nach der phantasievollen, gesangvol- len, höchst charakteristisch ihren Gegenstand in glänzendstem Colorit malenden Sakuntala-Ouverture zu schließen, scheint Goldmarck völlig der Mann dazu, zur Schilderung der klugen und schönen Königin aus dem Lande Arabia die richtigen Farben zu finden. Möge sich also die Direction durch das vorjährige verunglückte Experiment mit Rubinsteins leidigem „Feramors“ nicht schrecken und möge sie