Page - 386 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

386 Februar 1873 170 175 180 185 190 195 200 205 210 aus Bologna, der dort 1706 Mitglied der philharmonischen Gesellschaft und später Orchesterdirector am Hofe zu Modena und einer der großen Techniker der Geige in jener Epoche war, was seine Chaconne auch deutlich genug zeigt. (Es giebt noch drei andere Vitali – Filippo, Angelo und Giovanbattista, alle drei älter als Tommaso.) Zu dem Concerte des Frl. Helene Magnus und Herrn Professors Epstein soll die Kritik hier im umgekehrten Verhältnisse stehen – sie soll so kurz ausfallen, als das Concert lang ausfiel. Frl. Magnus ist eine eminente Liedersängerin, welche bei mäßigem Stimmenfonds beweist, was beseelter und geistvoller Vortrag vermag, und unser werther Prof. Epstein ist ein eminenter Mozart- und Schubert-Spieler; das G-moll-Quartett Mozarts und die Phantasiesonate Schuberts (auch in G) sind zwei hochherrliche Meisterwerke und es würde schwer sein zu entscheiden, wel- ches von beiden Epstein besser und schöner spielte. Aber von halb 8  Uhr bis halb 11  Uhr – drei volle Stunden Kammermusik, das ist des Guten zu viel! In Herrn Concertmeister Hellmesbergers Quartett gefiel das schöne Quintett von Mendelssohn in A-dur ganz außerordentlich – es ist aber auch ein Werk, auf welchem der volle Glanz der frischen, fröhlichen und glückseligen Jugend Mendelssohns ruht und dem die Uhland’sche und Eichendorff’sche Romantik, deren es voll ist, einen eigenen Reiz giebt, und gespielt wurde es mit wahrer Vollendung, besonders das Scherzo, ein gaukelnder Tanz anmuthiger Geis- terchen aus dem Elfenreiche, elektrisirte förmlich die Zuhörer. Die so sehr interes- sante und so überaus selten gehörte Sonate in A-dur für Violine und Pianoforte (op.  30, Nr.  1) trug Herr Hellmesberger mit Frl. Eugenie Klekler vor. Die Pianistin spielte je weiter, um desto besser. Der Vortrag des ersten Satzes litt noch unter einer fühlbaren Befangenheit, er hob sich im Adagio, er wurde vortrefflich in den Schlußvariationen. Ohne Schönthuerei, ohne Flunkerei ging die junge Dame mit sichtlicher Pietät an die Aufgabe, Beethoven zu spielen. Sie hat sich dieser Aufgabe würdig gezeigt und wir begrüßen sie von Herzen. An Stelle des angekündigten G-moll-Quartettes von Julius Zellner trat, abermals unvermuthet und plötzlich, Mozarts D-moll-Quartett. Es verlautete, die Quartettgesellschaft habe keine genügende Zeit zu Proben gefunden. Da Herr Hellmesberger Zellners Quartett für seine Abende selbst gewählt hatte und sei- ne Proben mit äußerster Gewissenhaftigkeit zu halten pflegt, zumal wenn es sich um eine Novität handelt, ist das wohl richtig. Aber: stand jene Violoncellsonate und das Quartett einmal auf dem Programm der Trioabende und der Quartett- abende, so mußten sie um jeden Preis auch wirklich gespielt werden. Was soll das Publicum denken? Muß es nicht glauben, man habe die Werke bei der Probe der Aufführung nicht werth gefunden? Das Publicum wird nicht zur Be- ruhigung seines Gewissens in corpore auf den Graben in Herrn Gotthards Musik- handlung eilen und dort beide Tonstücke kaufen, um selbst zu sehen, ob sie etwas taugen oder nicht. Das Publicum lächelte ungläubig, als es von Herrn Poppers leidender Hand, ihn selbst aber frisch und fröhlich spielen hörte; es stutzte im Hellmesberger-Quartett und fragte wie jenes Fräulein bei Heine: „wie so?“ Wer beide Compositionen Zellners kennt, wird wissen, daß beide wahrhaft schön sind, besonders ist die Violoncellsonate ein wahres Meisterstück.