Page - 406 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

406 März 1873 25 30 35 40 45 50 55 60 65 poem“. Wirklich müßte es sich z. B. in einer Neubearbeitung der „Iphigenia“ nicht übel ausnehmen, wenn König Thoas seine Wuth in den Rhythmen eines Walzers äußerte und die Furien dem Orest eine Polka vorsängen. Der Erfolg des „Indigo“ hätte Herrn Johann Strauß in der That über seine Unsterblichkeit als Operncomponist beruhigen können, aber der Offenbach’sche Blumenpfad zwischen einer Allee von Lorbeerbäumen war einmal betreten und lag gar zu verlockend da. Wohin er führt – das ging uns einstweilen nichts an. Wenn nun aber die Welt einst ihre sieben Wunder und Griechenland seine sieben Weisen hatte, so hat die Gegenwart am Ende doch nur einen Offenbach und mit diesem kann sie sich auch so gut begnügen wie die Erde nebst sonstigen Planeten mit der einen Sonne. Offenbach hat zudem eine Eigenschaft, welche ihm kein Mensch abstreiten wird – er hat Geist. Gar nicht zu sprechen von Werken wie „Fantasio“ u. a.; selbst in dem an Albernheiten und an Unsinn jeder Art nicht eben armen „schwarzen Corsaren“ sind wenigstens die parodistischen Beziehungen auf Herolds „Zampa“ wirklich geistreich zu nennen, die Verspottung des musikali- schen Dilettantismus wird mit gutem Humor durchgeführt und die erschreckliche Symphonie der guten Leute und schlechten Musikanten, welche den ersten Act schließt, ist in ihrer Art genial. Nimmt man aber Offenbach den Geist weg und den französischen prickelnden Esprit seiner Melodien – wenigstens der besseren darunter – was bleibt übrig? Die blanke Frivolität, das leere Musikgeklingel, wel- ches, wenn man eine Composition dieses Schlages, die ihre vierthalb Stunden zum offenen Widerspruch des Diminutivs „Operette“ spielt, gehört hat, in Kopf und Nerven eine Stimmung zurückläßt, als sei man eben so viele Stunden Schlitten gefahren und könne nun das Klingeln der Schlittenschellen nicht los werden. Wer also durchaus Offenbach der Zweite oder Dritte sein will, bedenke sich vorher, ob er es auch sein kann. Johann Strauß scheint über diese Vorfrage mit sich im Reinen zu sein – er hat uns eine neue Operette gebracht: „Der Carneval in Rom“. Schon der Theaterzettel zeigt uns gleichsam die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeiten und verspricht sie uns, so wir niederfallen und den Textdichter und den Componisten anbeten: „Sämmtliche Decorationen componirt und gemalt von Herrn A. Bredow, Decorateur der kaiserl. russischen Hoftheater zu St.  Peters- burg und Moskau, unter Mitwirkung des Herrn L. Grünfeld, Decorateurs dieser Bühne. Die neuen Costüme theils nach Zeichnungen der Herren F. Franceschini und Alfred Schreiber, verfertigt vom Obergarderobier Herrn Eberius und vom Costumier Mr. Chalain in Paris, Cartonagearbeiten von Charles Hallé in Paris. Die lebenden Blumen (Fleurs animées) nach Angabe des Herrn Eberius aus der Blumenfabrik des Herrn Schlesinger. Die Velocipèdes-Wagen und Velocipèdes aus der Eisengießerei des Herrn Karl Lenz. – Die vorkommenden Tänze arrangirt von der Balletmeisterin Frau Therese Kilany.“ Dann folgt das Personenverzeichniß, 17  Personen männlichen und 18 Personen weiblichen Geschlechts, und zum guten Ende: „Bauern, Bäuerinnen, Mädchen, Bursche, Kinder, Stiftsdamen, Modelle, Grisetten, Maler, päpstliche Zuaven, römische Gendarmen, Abbés, Mönche, Was- serträger, Blumenmädchen, Eisverkäufer, Hausirer, Bettler, Matrosen, Bediente, Kellner, römische Landleute.“ Uns schwindelt! – „Ci son tutti; è come la valle di Giosafat“, würde Manzoni’s Doctor Azecca Garbugli sagen.