Page - 429 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

429 März 1873 110 115 120 125 130 135 140 145 150 vier Paradiesesströme rauschen, Stellen in allergroßartigstem Sinne malend, wie „Da bleibt nichts als Todesgestalt“, lassen Bach in seiner ganzen gigantischen Grö- ße erscheinen. Fasse es, wer’s kann, Salonmusik ist es allerdings nicht. Für die vortreffliche Ausführung nehme Brahms und der Singverein unsern besten Dank, insbesondere aber auch Hoforganist Bibl für die meisterhafte Orgel- begleitung. Aus dem dämmernden gothischen Riesendom des alten Johann Sebastian wurden wir in einen Gartenpalast geführt, eines jener Bauwerke im graziösesten, heitersten Rococo, wo dieser Styl seine volle Berechtigung hat, – im umgebenden Garten blühen zwischen Taxuswänden Blumen, an Farbe und Duft köstlich, mar- morne Nymphen lauschen schalkhaft, Springbrunnen plätschern und wenn wir durch die Gänge Damen in der prächtigen Mode der Zeit mit Schleppe und Fächer promeniren sehen, so freuen wir uns dessen, denn wir kennen von den Pastellbil- dern der Rosalba Carriera her die Schönheit und Anmuth der Frauen jener Zeiten sehr wohl. Ohne Bilder und Gleichnisse gesprochen: nach der Bach’schen Cantate kam eine Symphonie von Jos. Haydn in C-dur, mehr „Rococo“ als andere von ihm, aber reizend durch und durch. Bei dem köstlichen Trio des Menuets priesen wir die Zeiten selig, wie der Componist so ohne weiters aus dem frischen Quell des Volksliedes, des Volkstanzes schöpfen durfte. Heutzutage würde sich kein kleines Geschrei über „Trivialität“ erheben. Eine „Novität“ war Beethovens Chor aus dem Festspiele „Die Weihe des Hauses“. Dieses geweihte Haus war bekanntlich das Josephstädter Theater in Wien und der Koloß der großen fugirten Ouverture op.  124, welche Beethoven für die Eröffnung des Theaters am 3.  October 1822 com- ponirte, hätte wohl die etwas engen Wände des Musentempelchens aus einander sprengen können. Bei dem Schlußchore, den wir diesmal hörten, mochten sie ste- hen bleiben. Bei einem Geistesriesen wie Beethoven hat allerdings jedes verflogene oder bei Seite geworfene Blatt immer noch irgendeinen Werth. Macht es schon einen son- derbaren Eindruck, in den „Ruinen von Athen“ und den übrigen kleineren Fest- stücken zur Eröffnung des Pester Theaters Beethoven in Compagnie mit Kotzebue anzutreffen, so ist es vollends tragikomisch, Beethoven zu erblicken, wenn er sich zu Versen (Poesie kann man nicht sagen) von Karl Meisl herabläßt, welchem wir übrigens um des „Geistes auf der Bastei“ willen viel Sonstiges nachsehen wollen. Wenn Meisl seinen Festchor mit den Versen schließt: „Lasset uns tanzend Blumen hier pflücken und mit Entzücken den Gönnern sie streu’n“, so ist das richtiger Postbüchelstyl, wie wir ihm in solchen Schatzkästlein des Witzes, Humors und der Postberichte bei den an die „Gönner“ adressirten versificirten Neujahrswünschen der p.  p. Briefträger begegnen. Mit Postbüchelstyl kann aber selbst ein Beethoven nicht viel anfangen. Interessant ist es aber, wie er sich hier fast wie ein erfahrener Theatercapellmeister den praktischen Forderungen des Ballets bequemt. Das con- certante Violin- und Sopransolo ist artig und wurde trefflich ausgeführt. An demselben Tage genossen wir Abends noch ein Concert „zum Besten des Journalisten- und Schriftstellervereines „Concordia“[“]. Erst eine Ouverture (es war die zum Ballet „Prometheus“ von Beethoven; sonderbar, daß der große Meis- ter an Einem Tage zwei Mal sich uns mit Balletmusik präsentirte), dann Duo aus