Page - 434 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

434 April 1873 55 60 65 70 75 80 85 90 95 Wo es am wildesten zugeht, geräth Mephisto in den Zweivierteltact – wenn Satan sein Spiel hat, giebt es allenfalls eine Mondesfinsterniß im ersten Viertel und Wal- zer im geraden Tactmaß. Fast möchte ich sagen: die walzenden Dämonen Meyer- beers im „Robert“ und die gaukelnden Elfen Mendelssohns im „Sommernachts- traum“ reichen einander hier freundnachbarlichst die Hände zum Tanze. Die Schreibart erinnert an die Dante-Symphonie Liszts – vielleicht sein bedeutendstes symphonisches Werk. Nur aber ist hier Alles bis zur äußersten Bizarrerie getrieben, für welche kaum Mephisto selbst als genügender Gewährsmann eintreten kann. Wir haben, wie wir da wie mit Schlangengeißeln durch einen musikalischen Sturm gejagt werden, kaum Zeit und Athem genug zu bemerken, an wie vielen wirklich ganz geistreichen Zügen uns diese wilde Jagd vorüberführt, wie eigen und charak- teristisch das Hauptthema erfunden ist, und manches Andere. Die Orchestrirung vollends ist die blendend prachtvolle, wie wir sie an Liszt gewöhnt sind. Den Phil- harmonikern gebührt für die Ausführung wirklich eine Lorbeerkrone – das ganze gewaltige Orchester wurde so zu sagen ein einziger Virtuose. Als nun aber „Faust glücklich im Wonnemeer versunken“, das heißt als das Stück aus war, da entspann sich im Publico eine Scene, wie wir sie bei den Philhar- monikern nicht erlebten, ein Krieg zwischen Berg und Thal, zwischen Galerie und Parterre. Auf der Galerie war Gloria in excelsis, ein Applaus, daß ich jeden Augen- blick erwartete, ein Paar wegapplaudirter Hände über die Brüstung in den Saal herabfliegen zu sehen. Aber in der Plaine des Parterre’s zischte man sich mit nicht geringerer Energie beinahe beide Lungenflügel weg. Der Kampf der Klatschenden und der Zischenden dauerte, bis beide, wie es scheint, die Kräfte, ihn fortzusetzen, verloren. Da – ein Augenblick tiefer Stille – und wie auf ein Commandowort brach das ganze Publicum in eine kurze, schallende Lachsalve aus. Womit die Sache er- ledigt war. Herr Walter sang den bekannten „Liederkreis“ Beethovens. Der geschätzte Künstler war, wie wir hören, an dem Tage sehr unwohl. Wir dürfen also billiger Weise an seine Leistung diesmal keinen strengen Maßstab anlegen. Die achte Symphonie Beethovens ist merkwürdiger und völlig unbegreiflicher Weise unter ihren Schwestern eine der weniger beachteten. Unserer Meinung nach ist sie ein Unicum. Wenn man, wie W.  R. Griepenkerl thut, Beethoven als Humoristen ins Auge faßt – als Humoristen natürlich wie Shakespeare, wie Jean Paul – so müßte gerade diese Symphonie vor allem Anderen genannt werden. Ein ganzes ästheti- sches Lehrbuch über den Humor in der Musik ließe sich daraus entwickeln. Wie der Humor blitzartig schnell von einem Gipfel zum anderen springt, das Erhabene durch das Komische, das Komische durch das Erhabene darstellt und „seinen ver- kehrten Meropsflug zum Himmel fliegt“, so hier Beethoven. Der Anfang des ersten Satzes verheißt festliche Pracht, Großes, Heroisches – da beginnt das Fagott mit seinem Septimensprung zu necken, plötzlich wieder lächelt eine liebliche Gestalt einen Moment lang heraus, aber sofort verwirrt und trübt sich das Bild – und rein komisch werden weiterhin die Octavensprünge, welche sich beim ersten Erscheinen, ehe ihnen das Fagott mit seiner Septime quer in den Weg kam, so heldenhaft anließen. Das Allegretto ist der anmuthigste Scherz von der Welt, auf den klopfenden Quartsextlern der Bläser tanzen die