Page - 464 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

464 Juni 1873 190 195 200 205 210 215 220 225 230 lence, in Wien, die Concurrenz mit dem „Athen an der Pleiße“ nicht nur bestehen, sondern mit ihm sogar rivalisiren zu können, müßte der Verlag in Wien sich ent- schließen, vor Allem durch Organisirung eines gemeinsamen, dem Röder’schen ebenbürtigen Institutes jener Abhängigkeit ein Ende zu machen. Er müßte ferner durch Gründung einer würdigen und gediegenen Musikzeitung für ein Organ sorgen, durch welches er zum Publicum redet. Aber es dürfte weder ein bloßes paraphrasirendes Verleger-Annoncenblatt sein, noch ein Reclameblatt, – kein mu- sikalisches Novitäten-, Causerie- und Klatschblättchen, kein wüthendes Wagner- oder Anti-Wagner- oder sonstiges Parteiblatt, sondern es müßte etwa den Weg neh- men, wie unter Chrysanders Redaction die „Leipziger allgemeine Musikzeitung“. Dazu müßten freilich sehr tüchtige Kräfte gewonnen werden, insbesondere Män- ner von solidester wissenschaftlicher Bildung, wie bei jener Zeitung Bellermann u. a. Endlich müßte durch Publication werthvoller Musik dem Verlage artistischer Credit in der Welt verschafft werden. Ein Verlegerkatalog von lauter classischen Werken, welcher Nummer nach Nummer Unsterbliches nennt, ist schon darum nicht möglich, weil nicht lauter Unsterbliches componirt wird. Aber wir wollen es ehrlich aussprechen, daß, wie die Sachen jetzt aussehen, im Wiener Musikverlag im Ganzen die musikalische Quisquilie eine viel zu große Rolle spielt; es gaukeln gar zu viele musikalische Eintagsfliegen herum. Hefte mit bunten Titelblättern, aus deren Ornamentgeranke uns die Gesichter stadtbekannter Schauspielerinnen, stadtbekannter Chansonettensängerinnen u. s. w. oder gar die Portraits der durch die Dedication des Opus Beglückten ansehen, u. s. w. u. s. w., und im Hefte selbst Potpourris über „beliebte Motive“, Polkas, Polka-Mazurkas u. s. w. – es ist der Nachhall jener Epoche, wo sich Beethoven und Schubert vor der Tanzmuse trollen mußten. Diese Sächelchen, denen wir ihr bischen Leben übrigens gönnen wollen, überwuchern das Gute, Bessere und Beste, welches in der That auch da ist. Vom Wiener Musikverlage haben die Firmen C.  A. Spina’s Nachfolger (Fried- rich Schreiber) als Fortsetzung der Firma A.  Diabelli, und C.  Haslinger quondam Tobias als Nachfolger von S.  A. Steiner u. Comp. die Anciennetät. Die Firma A. Diabelli wurde 1818 gegründet, änderte sich mit 1.  Jänner 1852 in die Firma C.  A. Spina und nahm erst ganz kürzlich, am 1.  Juli 1872, ihren jetzigen Namen an: C.  A. Spina’s Nachfolger (Friedrich Schreiber). Die- selbe zählt also über ein halbes Säculum – zudem hat sie den Verlag der früher bestandenen Firmen Mecchetti, Glöggl, Leidesdorf u. s. w. übernommen. In ihrer Geschichte glänzen Namen wie Beethoven (jene Variationen, eines der Haupt- werke des Meisters!) und vor Allen Franz Schubert, dessen unsterbliche Lied- weisen vorzüglich von hier aus in alle Welt gingen (die „Müllerlieder“ u. A., – die „Winterreise“ dagegen gehört Haslinger). Von den zahllosen musikalischen in- structiven Jugend-Rondos, Jugend-Sonatinen Anton Diabelli’s und Anderer ge- nügt es die Erwähnung zu machen. Auch sonst finden wir im Verlagskatalog man- ches ganz Treffliche, wie z. B. Liederhefte von J.  Hoven (Vesque v. Püttlingen), dessen „Fichtenbaum und Palme“ nach Heine, dessen „Sägemühle“ nach Eichen- dorff und viel Anderes zu den schönsten Liederblüthen zählt, welche dieser so rei- che Zweig der musikalischen Literatur besitzt – wir glauben oft echtesten Schubert zu hören, durchaus aber keinen „Nachahmer“ Schuberts. Zudem hat Hoven für