Page - 468 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

468 Juni 1873 10 15 20 25 30 35 40 45 50 ihn zu „Insassen im Tempel des Nachruhmes“ werden. So schließt sich dem Namen Beethovens der Name Haslinger an, und man mag sich gern der Beziehun- gen des „Generalissimus“ Beethoven zum „Adjutanten“ Tobias – wie es scherzwei- se in des Meisters Briefen heißt – erinnern. Von Tobias Haslinger ging der Musik- verlag auf dessen Sohn Karl über, der sich auch als Componist gelegentlich und mit Glück versuchte und dessen Tonstücke leichten, heiteren und anmuthigen Styls den Antheil Schumanns erregten, welcher ihrer in seinen kritischen Schriften wiederholt gedenkt. „Man muß bedauern“, sagt er einmal, „daß der musikalische Mann der Muse nur den Hof macht.“ Es ist, als hätte sich der musikalische Mann das gesagt sein lassen, er setzte nichts Kürzeres und Geringeres in Musik als Schillers „Glocke“ – ähnlich wie es früher Andreas Romberg gethan, als Cantate mit Soli, Chören u. s. w. „Karl Haslinger, quondam Tobias“, hieß jetzt die Firma – und dieser Name leuchtet uns noch heute in großen Goldbuchstaben entgegen, wenn wir die Prachtläden des Wiener Grabens mustern. Zur Zeit als noch Beet- hoven durch die Ladenthüre aus- und einging, versteckte sie sich hinter eine in den Graben hineingebaute, jetzt abgetragene Häusermasse, welche das schmale, seither natürlich auch verschwundene Paternostergäßchen bildete. Wir lassen die bedeu- tenden musikalischen Publicationen beiseite, welche aus dem Paternostergäßchen – auch schon zur Zeit, da die Firma S.  A. Steiner u. Comp. hieß – hervorgingen, und wollen hier bloß Beethovens siebente und achte Symphonie, den Liederkreis „An die entfernte Geliebte“, die Sonaten op.  90, 96, 101, das Trio op.  97, die Schlacht bei Vittoria, ferner C.  M. v.  Webers „Euryanthe“, Franz Schuberts „Winterreise“ u. s. w. genannt haben. Sehen wir, was die Firma Karl Haslinger, quondam Tobias, uns in der Weltausstellung bringt. Mit einigem und zwar mit gerechtem Stolz hat sie vor Allem ausgestellt: sämmtliche Klaviersonaten Beethovens in zwei Prachtbänden, Schuberts „Winter- reise“ und „Schwanengesang“, ebenfalls in einer Prachthülle, auch ein Nachlaß- stück von Schubert: „Salve Regina“. Dem Namen Spohrs unter den älteren Meis- tern begegnen wir so gerne, wie unter den jüngeren dem (zu wenig genannten) Namen Woldemar Bargiel und dem so soliden als brillanten und so brillanten als soliden Karl Evers. Zwölf charakteristische Tonbilder von Louis Schlösser sind der Ehre einer gleich prächtigen Ausstattung gewürdigt worden, wie die Werke der erstgenannten Heroen. Mit ganz besonderem Interesse begrüßen wir ein starkes Heft Chorcompositionen mit Begleitung von Rudolf Schachner, zu denen Texte aus J.  V. Scheffels köstlichem „Gaudeamus“ genommen sind. Schachner hat durch sein Oratorium „Die Heimkehr Israels aus Babylon“ in London u. s. w. verdientes Aufsehen gemacht, auch in Wien hatte dieses Werk 1870 durchgreifenden Erfolg. Die hochernste Tondichtung, welcher wir in der Oratorienliteratur eine sehr be- deutende Stelle einräumen müssen, hat hier ein heiteres Gegenstück gefunden. Es ist so selten, Männerchöre fröhlicher Art zu treffen, aus denen nicht irgendwo die Zinndeckel der Bierkrüge herausklappern, Cigarren herausdampfen, und die nicht aussehen, als habe sie der Tonsetzer in Hemdärmeln componirt. Daß man zu- gleich höchst humoristische und gleichwohl die Noblesse der Kunst nicht verläug- nende Musik componiren könne, beweist uns hier Schachner. Wenn aber vollends sich mit dem lustigsten Scherz eine tiefe contrapunktische Gelehrsamkeit vereint,