Page - 517 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

517 September 1873 135 140 145 150 155 160 165 170 175 eigens zur Prüfung der Lü (Halbtonschritte) des Tonsystems bestimmt ist. Dieses Instrument war schon 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung bekannt, schon der musikgelehrte Prinz Tsay-Yu befaßte sich mit allerlei Verbesserungen desselben. Dieses Lü-tschin hat aber 12 Saiten (nach den 12 gleichschwebenden Lü, nämlich c, cis u. s. w.), oder eine 13., wenn es mit der Octave des tiefsten Tones schließt, und ist nicht weniger als 6 Fuß lang, während jenes japanesische Monochord verküm- mert und ärmlich aussieht, auch jedenfalls noch einen beweglichen Steg bekom- men muß, wenn es mehr als in trostloser Monotonie seinen einzigen Ton soll an- geben können. Musiciren kann man auf diesen mit einer oder zwei Saiten bespannten Brettchen auf keinen Fall. Das verwunderliche, geigen- oder lautenar- tige Instrument mit dem quadratischen Schallkasten (beiläufig gesagt einer Form, die in Asien überall wiederkehrt und die wir z. B. unter den türkischen oder eigentlich arabisch-ägyptischen Instrumenten der Ausstellung ebenfalls finden) heißt „Sami-Sen“. Es wird gleich einer Laute gespielt; als Plectrum zum Rühren der Saiten dient ein meißelförmiges Werkzeug von Elfenbein, wie davon eines schön gearbeitet und geglättet daliegt. Daneben der ungeheuerliche Geigenbogen, zu dem schier ein ganzer Pferdeschweif nöthig ist, gehört zu einem ähnlichen In- strument, Ko-kiu genannt. Sehr interessant ist ein Instrument, dessen unterer, schön lackirter, mit Golddesseins gezierter Theil einem halbirten Kürbis gleicht, aus dem sich ein babylonisches Thürmchen von dünnen Bambuspfeifen erhebt – es ist das vorhin erwähnte Tscheng, Scheng oder Seng – seiner Heimat nach ein chi- nesisches Tonzeug des „alten Orchesters“, wie es vom Kaiser Young-Tschoung approbirt war. Wir suchen in der Fundgrube des Kang-Hi-Wörterbuches und fin- den, daß so wie Fo-Hi das Kin als Prototyp der Saiteninstrumente, so seine Gattin Niu-Kwa das Tscheng als Prototyp der Blasinstrumente erfand. Es ist eine Nach- bildung des Vogels Fung – die Windlade stellt den Leib vor, die Anblaseröhre den Hals, die Bambusröhren gleichen den Flügeln. Die kleinste Art der Tschengs heißt „Ho“ (Friede), hat 13 Pfeifen und symbolisirt die jährlichen 13 Mondumläufe. Eine mittelgroße Art mit 19 Pfeifen heißt „Tsao“ und versinnbildlicht den Mondcyklus von 19 Jahren, die größte Art mit 36 Pfeifen heißt Yu. An den einzelnen Bambus- pfeifen sind unten feine, durchschlagende Metallzungen angebracht, jedes Bam- busrohr ist nahe an der Windlade an der nach außen gekehrten Seite durchbohrt; sobald man die kleine Oeffnung mit dem Finger schließt, so vibrirt beim Anblasen die Metallzunge und die Pfeife tönt – das Spielen heißt daher auf chinesisch vom Oeffnen und Schließen der Hand „Pi-pa“. Ein in unseren neuen Orgeln ange- brachtes Register, welches eine ähnliche Construction hat, ist von Kratzenstein erfunden worden, der durch das Tscheng auf den Gedanken dazu geführt wurde. Neben dem Tscheng liegen Flöten in jeder Größe, auch eine Pans- oder Papageno- Pfeife, die auch in China unter dem Namen „Siao“ bekannt ist; von einer kleinen Oboe „Koan“ sagt unser Wörterbuch, „sie ahme das Geschrei kleiner Kinder nach“. Sehr stattlich ist der Apparat von Trommeln; von den kleinen Handtrommeln Po-Fu bis zu der Riesentrommel Kou, von Gung und Tamtam u. s. w. Die kleinen, völlig einer Sanduhr gleichenden Trommelchen sind für Japan charakteristisch und werden so gespielt, daß der Musikant sie nach der Quere vor sich hinlegt und