Page - 542 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

542 November 1873 85 90 95 100 105 110 115 120 125 angestaunt, welche das lange und überaus schwierige Werk, mit dem sie erst wäh- rend ihres noch kurzen Aufenthaltes in Wien bekannt geworden, tadellos und si- cher auswendig spielte. Durften wir Zellner zu dem Werk und der Spielerin Glück wünschen, so gratuliren wir ihm auch, daß ersteres als Novität gleich vor ein musikalisch hochgebildetes Publicum trat, welches die Schönheiten der Com- position sofort zu erkennen und zu würdigen vermochte; obschon Zellner nach seiner mehr tief reflectirenden, sinnigen Natur weniger auf äußere Glanzeffecte als auf innere Gediegenheit bedacht gewesen. Die Noblesse der Motive, die innige Empfindung, welche aus den gesangvollen Stellen spricht, die feine, meisterhafte Arbeit des Tongewebes geben seinem Talente und seinem Streben das schönste Zeugniß – und eigens ist hervorzuheben, daß nicht nur jeder der drei Sätze ein in sich geschlossenes Charakterbild darstellt, sondern auch alle drei Sätze wie Glieder einer Kette in einander greifen, so daß das ganze Concert eine bestimmte Physio- gnomie erhält, und unendlich mehr ist als etwa nur ein Haufwerk von Motiven und Passagen. Soll ich eine bestimmte nähere Andeutung geben, so würde ich Zellner einen der Denk-, Empfindungs- und Ausdrucksweise Schumanns verwandten Geist nennen, aber beileibe nicht bloß einen Epigonen Schumanns, wozu man ihn hat machen wollen. Er ist neben Schumann nicht der Client, der demüthig und hilfs- bedürftig an die Thüre seines Patrons klopft, nicht einmal der Schüler, der „in des Meisters Worte schwört“, sondern der jüngere Freund, der im Umgang mit dem älteren gar Manches von seinem Wesen annimmt. Talente dieser Art werden keine „Bahnbrecher“ – das kann und soll auch sicher nicht jeder sein – aber sie sind für die Pflege der Kunstblüthe ihrer Zeit äußerst wichtig und dürfen kühn in den Kreis der Guten und Besten dieser Zeit eintreten. Von Zellners neuer Composi- tion, die uns insbesondere ein glücklicher und tüchtiger Schritt in seiner Entwick- lung nach vorwärts scheint, heben wir im ersten Allegro den energischen, heroi- schen Anfang des allein beginnenden Pianoforte, den schönen, von leiser Melancholie angehauchten Seitensatz und die schöne Orchestration hervor; einige Mal läßt der Componist die Clarinette solo aus dem Orchester ordentlich – auf- blühen. Das Andante ist, so wie man musikalische Mondscheinstücke hat, ein Abend- dämmerungsstück – der Ton von Schwermuth, der schon im ersten Allegro in den energischen Gang desselben sänftigend eingriff, tritt hier entschiedener hervor – die ganze Färbung hat etwas Gedämpftes, ohne doch wirklich düster zu werden – es ist der Ausdruck einer Sehnsucht, die dem verglimmenden Abendroth nach- schaut, während am Himmel schon einzelne Sterne aufzuleuchten anfangen. Von vortrefflicher Wirkung sind in diesem Satze die breiten, weichen Arpeggien-Accor- de des Pianoforte, die sich mit dem verwandten und doch so bestimmt geschiede- nen Klang des Pizzicato der Streichinstrumente mischen. Das Final schlägt, wie recht ist, einen rüstigen, lebensmuthigen Ton an und enthält eine Menge sehr in- teressanter rhythmischer Combinationen. Unter den Klavierconcerten neuester Zeit bildet Zellners Composition sicher eine der werthvollsten Gaben. Von den kleineren Stücken (den Assietten dieser musikalischen Gasterei) heben wir Mendelssohns schöne, von Frau Essipoff im Vortrage aufs feinste belebte