Page - 545 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

545 Dezember 1873 45 50 55 60 65 70 75 80 85 Selten hat uns ein Tonstück so ergriffen wie das Adagio dieser Composition. Die fünf ausführenden Herren übertrafen aber auch sich selbst; ich wünschte, Mozart hätte sie gehört. Es geht mit diesem Meister wohl jedem echtfärbigen Musiker und Musikfreund ganz eigen; ich sage jedem echtfärbigen – denn von solchen, welche aus dem Färbekessel irgend einer Partei krebsroth oder himmelblau herausgekom- men, rede ich nicht. In den Knabenjahren findet man an Mozarts Musik die erste musikalische Liebe und je tiefer man später ins Wesen der Musik eindringt, je höhere Anforde- rungen man an sie stellt, desto glänzender wird Mozarts Bild, so daß Mozart das Alpha und Omega heißen darf. Alle Götter, die in Sachen der Musik etwas zu spenden hatten, haben ihre Gaben auf ihn gehäuft. Die größte und schönste Gabe ist aber die, welche das alte Hellas meist an seinem Apelles bewunderte und die Mozart mit Raphael theilt – die Charis. So lange wir an Mozart glauben, brauchen wir keine hereindrohende musikalische Barbarei zu fürchten. Hätten wir unter hundert Klavierspielern nicht leider Gottes immer etwa zwei Künstler auf acht- undneunzig Klavierpauker, so müßten, beiher gesagt, Mozarts Klavierconcerte so oft gehört werden, wie man sie jetzt selten hört – wohlgemerkt: ohne Hummel’sche oder sonstige Bearbeitungen, denn die Herren finden in den ihnen à discretion gestellten Cadenzen Gelegenheit, ihre ganze Virtuosität auszukramen. Lege man z. B. das kurze, einfache Larghetto aus dem D-dur-Concert oder jenes aus dem Concert in C-dur, zwei Werken ersten Ranges, die man nie zu hören bekommt, in die eine Waagschale und in die andere all’ den musikalischen Mord und Todt- schlag, zu dem das Klavier seither mißbraucht worden – und man sehe zu, wohin das Zünglein schlagen wird. Insbesondere könnte das Andante aus dem erstge- nannten Concert an die mythischen Wunder des Orpheus glauben machen. Die Philharmoniker brachten uns auch wieder ein zur Ungebühr vergessenes Meisterwerk in Erinnerung – Spohrs „Faust“, dessen Ouverture sie auf ihr Pro- gramm gesetzt. Sie ist eines der wenigen wirklich feurigen und energischen Ton- stücke des sonst gerne träumerisch-sinnenden, schwärmerisch-reflectirenden, wei- chen Tonsetzers. Sein unglückliches Programm zu eben dieser Ouverture hätte er sich aber ersparen sollen: ein „Faust“, der in Genußtaumel hinlebt und seinem Vetter Don Juan in’s Gehege geht, dann Vorsätze der Besserung faßt, endlich aber in die früheren Verirrungen zurückfällt und zu Grunde geht, – ein solcher „Faust“ ist Alles in der Welt, nur kein „Faust“, sogar auch nicht der „Faust“ des von Spohr componirten Opernbuches. Der Componist hat augenscheinlich die Gabe, die ihm sein Genius gebracht, selbst nicht verstanden!! Kann er es übelnehmen, wenn auch Andere zuweilen schlimm danebenschossen? Als mit „Faust“ in den zwanzi- ger Jahren in Paris ein Versuch gemacht wurde, ein Versuch, der nur mittelmäßig ausfiel, schrieb ein Pariser Hauptblatt berichtend: „Das Werk stehe tief unter dem „Freischütz“ – nur eine kriegerische Arie und ein kleiner origineller Hexenchor habe gefallen; ein unvergleichliches Meisterstück aber sei die Ouverture.“ Und nun höre man: „Das ganze unsterbliche Gedicht Goethe’s lebt darin – sie beginnt mit einem Satze, der die Seele in unendliche Ruhe wiegt, und endet mit einem Satz, der einen dumpfen, fürchterlichen Eindruck zurückläßt.“ Man sollte eine solche Auffassung denn doch nicht für möglich halten!