Page - 562 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

562 Dezember 1873 15 20 25 30 35 40 45 50 55 und selbst zu der Heiterkeit Beethovens, bei dem allerdings, je weiter und höher er fliegt, der Schmerz lauter und lauter, dann aber auch zur Verklärung wird, sind wir in unserer Musik endlich in eine wahrhaft faustische Stimmung hineingerathen – und als allgemeines Motto könnte man über unsere Partituren den verzweifeln- den Ausruf Fausts schreiben: „und so ist mir das Dasein eine Last“ u. s. w. Wir möchten aber auch gleich den Componisten die Antwort zurufen, welche Faust erhält: „hör’ auf, mit deinem Gram zu spielen“. Brahms Quartett ist ein wahres Nachtstück, auf dem eine tiefere, dunklere Nacht liegt als selbst auf den letzten Quartetten Beethovens, denn Beethoven läßt endlich doch weilweise durch die zerreißenden Wolken die ewigen Sterne hereinfunkeln, wenn er nicht gar selbst über die Wolken emporfliegt und den ganzen klaren Sternenhimmel schaut; wäh- rend Brahms uns unaufhörlich unter der finsteren Wolkendecke festhält. Schla- gend war die Wirkung, als hernach Beethovens A-dur-Quartett anfing und uns in seiner unsterblichen Jugendschönheit anlächelte. Das Brahms’sche Quartett ist ein Werk, das keine Zuhörerschaft gewöhnlichen Schlages erträgt, – den Musiker wird es Tact nach Tact fesseln und interessiren und wer die Sprache des späteren Beethoven verstehen gelernt hat, wird hier kein ihm fremdes Idiom hören. Den Uebergang von Brahms zu Beethoven bildete Schuberts Trio in Es, dessen Klavier- part Herr Prof. Epstein höchst vortrefflich spielte, so daß wir bis zum letzten Tacte frischen Antheil behielten, während uns bei andern Gelegenheiten diese ge- niale Composition den Fehler zu haben schien, welcher so ziemlich Schuberts ein- ziger ist, nämlich: nicht fertig werden zu können und den „letzten Worten“ letzte- re und letzteste anzuhängen. Im Beethoven’schen Quartett machten die Herren mit den Variationen ordentlich Sensation. Es war aber auch in seiner Art das Voll- endetste, was man hören konnte! Es giebt gewisse Motive, die ich für meine Person nie ohne große innere Bewegung hören kann. Dahin gehört auch in den Variatio- nen jenes Gegenmotiv, das Beethoven in der letzten Veränderung, nach dem Trug- schluß in B, mit dem Thema combinirt. Und was ist es? Ein Stückchen aufsteigen- der diatonischer Scala. Wunderbare Macht des Genius, in Gold zu verwandeln, was er berührt! Das letzte Concert der vortrefflichen Essipoff konnte ich wegen der gleich- zeitigen Aufführung des „Fra Diavolo“ nicht hören. Man versichert mich, es sei ausgezeichnet gewesen, was ich den Versichernden ohne Eidschwur glaube. Ueber ein in diesem Concert gesungenes Lied eines jugendlichen Componisten, Adolf Wallnöfer, kann ich aber auch nach eigener Prüfung sprechen, da es mir, nebst noch sechs anderen als op.  1 bei unserem braven Förderer und Schützer junger Talente, bei J.  P. Gotthard gedruckt, vorliegt. Wallnöfer ist ein entschiedenes Talent, hat gelernt, hat poetischen Sinn und feine Empfindung, und hat sich mit Liebe in die Werke gewisser, ihn vorzüglich ansprechender Meister, vor allen Robert Schumanns, vertieft. Sein op.  1 ist daher für ihn eine recht gute vorläufige Empfeh- lung – das Weitere warten wir ab. Nicht bloß ihm, sondern allen jungen Liedercom- ponisten möchte ich folgenden guten Rath geben: wenn ihr ein Gedicht findet, welches euch anregt, es in Tönen nachzudichten, so versperrt zum guten Anfang euer Pianoforte und steckt den Schlüssel in die Tasche; vergeßt, daß ihr auch mo- derne Pianisten seid, und dann singt das Lied aus voller Brust, aus vollem Herzen.