Page - 569 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

569 Dezember 1873 70 75 80 85 90 95 100 105 110 Die Composition Schumanns hilft uns über alle Bedenken gegen die Grundanlage des Textes hinüber – denn im Detail hat Horn seine Sache ganz gut gemacht. Der Ton ist herzlich und die einzelnen Situationen sind ansprechend. Er hat dem Com- ponisten glückliche lyrische Momente geboten. Und wie in der „Peri“ zeigt sich auch hier ganz auffallend, daß Schumann durchaus musikalischer Lyriker, aber nicht entfernt Dramatiker war. Die wenigen Stellen, wo in der „Rose“ etwas ge- schieht, sind überaus schwach gerathen (zum Beispiel das zum Glück sehr kurze Duett zwischen dem Röschen und der sie abweisenden Frau) – wo sich dagegen der Tondichter in die Stimmung einer Situation vertiefen darf, bringt er Schönstes. Schumann hat nichts Ergreifenderes componirt als die Scene des Leichenzuges der Müllerstochter. Es ist kein herkömmlicher Trauermarsch, keine Nänie, kein Cho- ral oder Sterbelied – es ist die Illustration des Momentes am offenen Grabe, wenn der Sarg eingesenkt wird und Blumen und Thränen und – polternde Erdschollen ihm nachfallen. Die schmerzdurchzitterten Rufe Röschens dazwischen: „o Schwes- ter, tief beklagt“ wirken auf den Hörer selbst mit der schmerzlichsten Gewalt – ähnlich wie die Ausrufungen des Namens „Euridice“, welche Glucks Orfeo zwi- schen dem Trauerchor der Hirten hören läßt. Wer etwa nicht lang vorher ein Liebes verloren, wird bei dem Chor Schumanns Mühe haben, seine Fassung zu behalten. Erheiternd und erfrischend wirken die frohen Scenen des Lebens im zweiten Theil der Cantate. So düster der erste Theil, so heiter ist bis gegen das Ende hin der zweite. Etwas, das sonst die Tonsetzer gerne so kurz wie möglich abfertigen, breitet sich in Schumanns „pilgernder Rose“ stellenweise zu beträchtlicher Breite aus und gehört zu dem Allerschönsten des Werkes: die orchestralen Nachspiele einzelner Nummern – so das Nachspiel jener Begräbnißscene mit dem düster in seiner Tiefe leise fortdröhnenden Orgelpunkt der Contrabässe. Man könnte endlich, um das Werk kurz zu charakterisiren, sagen: es ist ein Schumann’sches Lied, in seinem wohlbekannten poetisch-musikalischen Styl, aber zu kolossalen Dimensionen aus- gebreitet, vielgliederig und zwischen Chöre und Solostimmen geschickt vertheilt. Gleich zu Anfang lächelt uns im hellen A-dur eines jener frischen, entzückenden Frühlingslieder entgegen, wie Schumann und Mendelssohn so herrlich zu compo- niren wußten, wir hören wiederholt reizende „zweistimmige Lieder“ für Sopran und Alt, der Männerchor singt mit den unausweichlichen Waldhörnern eines je- ner echt deutschen Waldlieder, deren tausend und erstes erfreut, nachdem man ihrer vorher schon tausend gehört, und der verliebte Jäger spricht seine zärtliche Melancholie nicht in einer Arie aus, sie wird uns in einem gar herzlichen Lied er- zählt. Und so durchaus. Was die Aufführung betrifft, so versteht es sich, daß Chor und Orchester vor- züglich waren wie immer. Die Damen Ehnn, Koch, Tremel und Worani, die Herren Walter, Mayerhofer und Hablawetz wirkten höchst sorgsam mit und erlangten für ihre schönen Leistungen reichlichen Beifall. Insbesondere kann Frau Ehnn die Partie des „Röschen“ zu ihren allerbesten zählen – es schwebte ein eige- ner Zauber von Poesie darüber, ihr Gesang hatte etwas eigen zart und warm zum Herzen Sprechendes, etwas geradezu Rührendes. Die Leitung des Ganzen war in den Händen des Herrn Hofcapellmeisters Dessoff.