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Einleitung16
dem Boden des Alten Kontinents – sie waren zudem auch ethisch-moralischer Sieger
dieses „totalen“ Krieges.
Der Zweite Weltkrieg war für die USA keinesfalls nur eine Angelegenheit , bei der es
gemeinsam mit den Alliierten um die militärische Niederschlagung der Achsenmächte
ging. Das zivilgesellschaftliche Amerika – hier vor allem die Bildungselite des Landes –
und in der unmittelbaren Folge auch Regierungsstellen , werteten die nationalsozialis-
tische Aggression als Existenzbedrohung westlicher Zivilisation schlechthin und damit
auch als Generalangriff auf die demokratischen Grundlagen des „American way of life“;
dieser Bedrohung war nicht nur mit militärischen Waffen , sondern
– ganz im Sinne eines
globalen „Wissenschafts- und Bildungskrieges“
– auch weltanschaulich-propagandistisch
entschieden entgegenzutreten , zumal ja auch die NS-Propaganda Zerrbilder eines zwar
wirtschaftlich mächtigen , aber sonst kulturell inferioren und vollständig korrumpierten
Landes zeichnete. In diesem Sinne hatte der Zweite Weltkrieg eine profunde weltanschau-
liche Dimension , da es keineswegs nur darum ging , die Motivationsbereitschaft der Be-
völkerung und der Armee durch Rückbezug auf die Freiheitsideale der amerikanischen
Demokratie zu stärken , sondern eben auch darum , zu beweisen , dass sich in diesem Krieg
letztlich das überlegenere System einer auf humanistischen Prinzipien beruhenden Bil-
dung und Wissenschaft durchsetzen wird.
Der Kriegseintritt der Regierung Roosevelt gegen die Achsenmächte hatte eine landes-
weite intellektuelle und weltanschauliche Generalmobilmachung zur Folge , die im Kampf
gegen aggressiven Militarismus und totalitäre Unterdrückung nichts weniger als den Fort-
bestand von Freiheit , Demokratie und Selbstbestimmung – letztlich der menschlichen
Zivilisation
– bedroht sah.
Gewissermaßen als letzte große Zufluchts- und Hoffnungsbastion des freien Westens
traten die USA an , die Wertgrundlagen der eigenen Nation und somit der ( europäischen )
Aufklärung – sozusagen als erweiterte „Manifest Destiny“3 mit der in der Art des „An-
gelus Novus“4 symbolhaft in Richtung Europa blickenden „Statue of Liberty“ ( „Mother
3 Die umgangssprachliche Redewendung der „Manifest Destiny“ der US-amerikanischen Politik , also die
„offenkundige Bestimmung“ Amerikas zur geopolitischen Expansion der ‚US-Freiheit‘ geht auf den New
Yorker Journalisten John O’Sullivan zurück , der 1845 im Zusammenhang mit der Annexion von Texas vom
„fulfillment [ sic ] of our manifest destiny to overspread the continent“ sprach. Vgl. Shane Mountjoy , Mani-
fest Destiny. Westward Expansion , New York 2009 , 9 f. Zur Vorgeschichte und ideologischen Prägekraft
der „Manifest Destiny“ sowie zur Ausweitung ihrer räumlichen Anwendungsbereiche siehe auch : Anders
Stephanson , Manifest Destiny. American Expansion and the Empire of Right , New York 1995.
4 In seiner IX. „Geschichtsphilosophischen These“ entwarf Walter Benjamin , in Anlehnung an ein Bild von
Paul Klee mit dem Titel „Angelus Novus“ und geprägt unter anderem durch die mörderischen Erfahrungen
des 20. Jahrhunderts , eine geradezu apokalyptische Metapher des „Engels der Geschichte“: „Es gibt ein
Bild von Klee , das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt , der aussieht , als wäre er im Be-
griff , sich von etwas zu entfernen , worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen , sein Mund steht offen
und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Ver-
gangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint , da sieht er eine einzige Kata-
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741