Page - 20 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
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Einleitung
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ginalisierung durch Aussagen einschlägiger Studien selbst verstärkt : In ihnen wurde bei-
spielsweise darauf verwiesen , dass die „Reorientierung“ im Kontext der Gesamtaufgaben
der Militärregierung lediglich eine Nebensächlichkeit darstellte und ohnedies nie rich-
tig gegriffen beziehungsweise infolge des Kalten Krieges bald über Bord geworfen wor-
den wäre.13 Wie Karl-Heinz Füssl konstatierte , ging die einschlägige Forschung auch für
Deutschland , analog zur Entnazifizierung , von einem weitgehend pessimistischen Bild der
Reeducation aus14 und interessierte sich daher – dies gilt freilich insbesondere für Öster-
reich
– über längere Zeit nicht weiter für vertiefte Forschung. Die einfache , jedoch durch-
aus erkenntnisfördernde Gegenfrage , wie die Nachkriegsentwicklung wohl ohne jegliche
Reorientierungs-Maßnahmen und unter völligem Ausbleiben der konkret durchgeführten
Entnazifizierung ausgesehen hätte , wurde unter dieser paradigmatischen Herangehenswei-
se bezeichnenderweise erst gar nicht gestellt.
Methodisch und theoretisch verfeinerte sowie quellenmäßig breitere Zugänge präsen-
tieren hier ein etwas anderes Bild , wie etwa in Reinhold Wagnleitners grundlegender Stu-
die zur „Coca-Colonisation“, aber auch schon viel früher in einer ersten lokalen Fallstudie
von John Gimbel15 sowie ansatzweise in den Studien von James F. Tent ,16 Henry J. Keller-
mann17 oder auch bei Karl-Ernst Bungenstab ,18 die vor allem die Entstehungs- und unter-
schiedlichen Implementierungskontexte der US-Reorientierung stärker berücksichtigen
und die Frage nach den intentionalen und konterintentionalen Wirkungen neu fassen.19
Univ. Graz 2002 , sowie : Florentine Kastner , 373 Camp Wolfsberg. Britische Besatzungslager in Österreich
von 1945 bis 1948 , Dipl.-Arb., Univ. Wien 2001. Die sowjetische „Umerziehung“, ebenfalls von Kriegsge-
fangenen , behandelt : Michael Pucher , Umerziehung im sowjetischen Kriegsgefangenenlager Talicy , Dipl.-
Arb., Univ. Graz 1997 ; den Kontext von Entnazifizierung und russischer Besatzungsmacht Alexander Knes ,
Entnazifizierung in der sowjetischen Zone Österreichs von 1945 bis 1948 , Dipl.-Arb., Univ. Graz 2005.
13 So z. B. Helmut Engelbrecht , Die Eingriffe der Alliierten in das österreichische Schul- und Erziehungs-
wesen nach 1945. In : Manfred Heinemann ( Hrsg. ), Umerziehung und Wiederaufbau. Mit einem Vorwort
von Manfred Heinemann und einer Einleitung von Wilhelm Roeßler (= Veröffentlichung der Historischen
Kommission der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft , Bd. 5 ), Stuttgart 1981 , 278 ff.
14 Karl-Heinz Füssl , Zwischen NS-Traumatisierung und Demokratie : Die Erziehungspolitik der USA in der
deutschen Nachkriegsgeschichte ( 1945–1952 ). In : Paedagogocica Historica. International Journal of the Hi-
story of Education , XXXIII , 1997 , Heft 1 , 221 ff.
15 John Gimbel , A German community under American occupation : Marburg , 1945–1952 , Stanford 1961 ;
weiters : Ders., Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland 1945–1949 , Frankfurt a. Main 1971.
16 James F. Tent , Mission on the Rhine. Reeducation and Denazification in American-Occupied Germany ,
Chicago – London 1982.
17 Henry J. Kellermann , Cultural relations as an Instrument of U. S. Foreign Policy. The Educational Exchange
Program between the United States and Germany 1945–1954 (= Department of State Publication 8931 ),
Washington D.C. 1978.
18 Bungenstab , Umerziehung zur Demokratie ? , a. a. O., 1970.
19 Exemplarisch lassen sich an dieser Stelle folgende Arbeiten nennen : Karl-Heinz Füssl , Deutsch-Ameri-
kanischer Kulturaustausch im 20. Jahrhundert. Bildung – Wissenschaft – Politik , Frankfurt a. Main 2004 ;
Ellen Latzin , Lernen von Amerika ? Das Kulturaustauschprogramm für Bayern und seine Absolventen
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741