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Einleitung
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Eine explizite Zuordnung der grundlegenden theoretischen Annahmen dieser Studie
zu einer der älteren oder der rezenten Theoriebildungen wie beispielsweise der Kritischen
Theorie21 oder dem Struktur- oder Sozialkonstruktivismus22 wurde
– trotz mancher Nähe
–
unterlassen ; dies nicht zuletzt deshalb , weil großtheoretische Erklärungsansätze in der Re-
gel starr sind und durch einzeltheoretische Grundlegungen im Kontext historiografischer
Arbeiten aufgrund der Komplexität des Gegenstandsbereiches ebenso wenig gewonnen ist
wie durch die bloße Auflistung prägender Lektüren.
In methodischer Hinsicht ergab sich die spezifische Mischung aus traditioneller his-
torisch-kritischer Verfahrensweise ,23 sozialwissenschaftlichen und strukturgeschichtli-
chen Ansätzen ,24 historisch-kulturwissenschaftlichen Anleihen25 oder soziologischer26
und ethnologischer Kulturtheorien27 erst im Fortgang und Verlauf der Arbeit durch die
jeweiligen Perspektiven und Fragestellungen , durch die Art des verwendeten Quellen-
materials sowie letztlich durch die Orientierung am Methodeninventar rezenter Zeitge-
schichteforschung.
versität Berlin 2004. Eine erste antiamerikanische Polemik unter diesem Titel publizierte bereits 1920 der
Göttinger Althistoriker Ulrich Kahrstedt ( 1888–1962 ): Ulrich Kahrstedt , Pax Americana. Eine historische
Betrachtung am Wendepunkte europäischer Geschichte , München 1920. Vgl. dazu : Joachim Riecker , „Das
Geheimnis ist Mut“. Antike Vorbilder in der amerikanischen Außenpolitik von Theodore Roosevelt bis Bill
Clinton , Paderborn 2006 , 71 ff.
21 Vgl. Max Horhkeimer , Traditionelle und Kritische Theorie. Vier Aufsätze , Frankfurt a. Main 1984 , 12–64 ;
vgl. dazu weiters : Jürgen Habermas , Erkenntnis und Interesse. Mit einem neuen Nachwort. 6. Aufl., Frank-
furt a. Main 1981 , 59 ff.
22 Vgl. John Gerad Ruggie , Constructing the World Polity. Essays on International Instiutionalization , Lon-
don 1998 ; weiters : Daniel M. Green , Constructivism and Comparative Politics , Armonk N. Y. 2002.
23 Mit dem Vorzug analytischer gegenüber hermeneutischer Rekonstruktion bzw. Argument versus Erzäh-
lung / Narration. Vgl. Stefan Jordan , Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft. Orientierung
Geschichte , Paderborn 2009 , 45 ff.
24 D. h. der Auswertung empirischer Daten ( Quantitifizierung ), der Berücksichtigung überindividueller Pro-
zesse , und der Analyse situationsübergreifender Ordnungen der Sinnproduktion ( Typisierung , Generali-
sierung , Diskursanalyse ). Vgl. Hans-Ulrich Wehler , Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschrei-
bung. Studien zu Aufgaben und Traditionen deutscher Geschichtswissenschaft , Göttingen 1980.
25 Vgl. Achim Landwehr , Kulturwissenschaft und Geschichtswissenschaft. In : Klaus Stiersdorfer / Lau-
renz Volksmann ( Hrsg. ), Kulturwissenschaft interdisziplinär , Tübingen 2005 , 39–57 ; weiters : Jan Kus-
ber / Mechthild Dreyer / Jörg Rogge / Andreas Hütig ( Hrsg. ), Historische Kulturwissenschaften. Positionen ,
Praktiken und Perspektiven , Bielefeld 2010.
26 Vgl. Pierre Bourdieu , Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft , Frankfurt a. Main 1993 : „Die Theo-
rie der Praxis als Praxis erinnert gegen den positivistischen Materialismus daran , daß Objekte der Erkennt-
nis konstruiert und nicht passiv registriert werden [ … ]“. Ebd., 97.
27 Siehe : Clifford Geertz , Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme , Frankfurt a.
Main 1987 : „Kultur , dieses Dokument , ist also öffentlich [ … ]. Obwohl sie aus Ideen besteht , existiert sie
nicht in den Köpfen ; obwohl sie unkörperlich ist , ist sie keine okkulte Größe. [ … ] Sobald menschliches
Verhalten als symbolisches Handeln gesehen wird [ … ] verliert das Problem , ob Kultur vorgestanztes Ver-
halten , ein beschränkter intellektueller Horizont oder sogar von beiden etwas ist , seinen Sinn.“ Ebd., 16
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741