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Einleitung
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Forschungsansätze im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit , ähnlich wie die Ak-
kulturations- beziehungsweise Kulturtransfer-Forschung ,32 nur einen allgemeinen Bezugs-
rahmen ohne spezifischen methodologisch-inhaltlichen Bezug im engen Sinne , da der je-
weilige Fokus dieser Forschungsfelder zumeist auf einzelne Segmente gerichtet ist : Dieser
konzentriert sich entweder auf Prozesse des bilateralen Kulturaustausches , auf US-Propa-
ganda-Strategien , auf die Wirkungen der amerikanischen Populärkultur , auf ordnungspo-
litische Integrations- und Bündnispolitik oder auf fachwissenschaftlich-disziplinäre Dis-
kurse und deren spezifischen Veränderungen im Rahmen wissenschaftlicher Institutionen.
Rob Kroes hat zudem nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht , dass der hegemoni-
ale Begriff „Americanization“, im Unterschied zu „Americanism“, eine eindeutig negati-
ve Konnotation besitzt , indem er immer auf eine Form der De-Europäisierung verweist ;
damit würde , so Kroes , ein komplexes Phänomen sehr oft auf eine vergleichsweise simple
Erklärungsformel reduziert , was der Analysekraft des Begriffes kaum zugutekäme. Im-
merhin könnten veränderte theoretische Parameter durchaus zu inversen Interpretationen
führen : „America’s colonization of Europe then turns into Europe’s Coca-colonization“.33
Als methodisch und theoretisch avancierter Kulturanthropologe schlägt Kroes daher – in
humorvoller Anleihe an ein populäres Hollywood-Icon der Gegenwart – vor , zunächst
einmal den transformativen „Black-Box-Charakter“ der „Amerikanisierung“ anzuerken-
nen , um so nicht vorschnell die Mehrdimensionalität , die diesen Prozess unzweifelhaft
kennzeichnet , aus dem Blick zu verlieren :
“If in this process there are obviously senders and receivers as well as modes and means of
transmission , the black box is the semiotic dark room where messages undergo a process of
translation , where they are decoded and reencrypted , decontextualized and recontextualized ,
and made to fit the receivers’ frames of reference. The black box in this sense is not unlike the
encircling the Soviet Union – laid the groundwork for the advent of American popular culture. In other
words , cultural exports followed on the heels of a preponderance of American military power.“ Bischof ,
Introduction. Austria in McWorld. In : Bischof / Pelinka ( Eds. ), The Americanization / Westernization of
Austria , a. a. O., 2.
32 Zum diesem überaus spannenden Forschungsfeld , das mitunter auch lernzentrierte Theorieansätze adpa-
tiert hat , siehe u. a. : Martin Aust / Daniel Schönpflug ( Hrsg. ), Vom Gegner lernen. Feindschaften und Kultur-
transfers im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts , Frankfurt a. Main 2007 ; Volker R. Berghahn , Industrie-
gesellschaft und Kulturtransfer. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 20. Jahrhundert (= Kritische
Studien zur Geschichtswissenschaft , Bd. 182 ), Göttingen 2010 ; Oliver Agard / Christian Helmreich / Hé-
lène Vinckel-Roisin ( Hrsg. ), Das Populäre. Untersuchungen zu Interaktionen und Differenzierungsstra-
gien in Literatur , Kultur und Sprache , Frankfurt a. Main 2011.
33 Rob Kroes , If you’ve seen one , you’ve seen the mall. Europeans and American mass culture , Amsterdam
1996 , xii. Auch Wagnleitner hat diesbezüglich angemerkt , dass hinter der „Amerikanisierung“ der Welt
eigentlich deren „Europäisierung“ liegt. Reinhold Wagnleitner , Coca-Colonisation und Kalter Krieg. Die
Kulturmission der USA in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg (= Österreichische Texte zur Gesell-
schaftskritik , Bd. 52 ), Wien 1991 , 7.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741