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Geschichte
Nach 1918
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
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39 Das Bild Amerikas aus europäischer Sicht bis Anfang der 1930er-Jahre Lenau ,80 mit seinem 1855 erschienenen Roman „Der Amerikamüde“81 ein drastisch ver- zerrtes , wenn auch vielschichtiges Bild , obwohl er Amerika nie betreten hat. Neben aller Bewunderung für die „Freiheitsideale“, den prosperierenden Pragmatismus und die „unge- heuren Energien Amerikas“ lieferte diese ressentimentgeladene Schrift82 in hoher Auflage eine breite Palette eindeutig negativer Vorurteile und Stereotype gegenüber den dortigen Sitten und Gebräuchen , die in den späteren Fundus der europäischen Amerika-Kritik eingingen. Darin häuften sich Punzierungen wie „unfeine Esskultur“, luxurierende , „kind- haftverstandlose Geschmacklosigkeit“, „routinierte Flachheit“, „Gedankenarmut“, Kultur- losigkeit , Bildungslosigkeit selbst der gesellschaftlichen Elite ,83 fabrikmäßige Uniformität , nationaler Hass auf alles Deutsche84 sowie Gewalttätigkeit und eine alles durchdringende „Geldgier“. Ähnlich drastisch „enttäuscht“ hatte sich zuvor bereits Charles Dickens geäu- ßert , der in den USA „eine monströse Vorspiegelung des erhofften Garten Eden“, eine „barbarische Wildnis“85 sah. Kritik an der Maschinenkultur sowie an der inhumanen Kälte des US-Kapitalismus äußerten auch viele deutschsprachige Autoren der Moderne , ange- fangen von Gerhart Hauptmann , über Rainer Maria Rilke , Franz Kafka , Franz Wedekind bis hin zu Bertolt Brecht.86 Hinzukommt das große Befremden , das die Sklaverei und die Sklavengesetze der USA87 bis zu deren Abschaffung 1861 bei differenzierten europäischen 80 Lenau benötigte genau acht Tage , um zum Schluss zu kommen , dass die Amerikaner „himmelanstinkende Krämerseelen“ seien. Zit. nach : Manfred Thaller , Studien zum europäischen Amerikabild. Darstellung und Beurteilung der Politik und inneren Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika in Großbritannien , Deutschland und Österreich im Vergleich zwischen 1840 und 1941 , Diss., Univ. Graz , 1975 , Bd. I , 46. 81 Vgl. dazu : Clemens Ruthner , „Amerikamüde“ ‚Deutsche‘ und ihre „Neger“. Skizze zur Theorie der litera- rischen Stereotypenforschung ( mit einem Seitenblick auf F. Kürnberger ). In : Germanistische Mitteilungen. Zeitschrift für deutsche Sprache , Literatur und Kultur , 67 , 2008 , Heft 67 , 82–100. 82 Der Roman ist einerseits als Gegenprogramm zu Ernst Willkomms Amerika-Utopie „Die Europamüden“ aus dem Jahr 1838 angelegt sowie andererseits als politischer Kommentar zur Emigration im Gefolge der 1848er-Revolution  – die ersehnte Freiheit findet sich für den Wiener 1848er-Revolutionär Kürnberger auch im Land des aufstrebenden Kapitalismus nicht. Der Held des Erfolgsromans resümiert seine Eindrü- cke folgendermaßen : „Oh , Herr , schick uns alle Jahre eine Pest und nimm dafür eins unsrer Vorurteile von uns.  – Amerika ist ein Vorurteil.“ Kürnberger , Der Amerikamüde , a. a. O., 337. 83 „Ihr Wohlstand ist gewachsen , ihre Bildung nicht. [ … ] Ich habe Häuser von Reichtum und gesellschaft- lichem Rang betreten , aber ihre Bibliotheken waren nicht hinaus über den hundertjährigen Kalender.“ Ebd., 317 84 Ebd., 157 85 So z. B. in seinen American Notes ( 1842 ). Zit. nach : Wagnleitner , Coca-Colonisation , a. a. O., 24. 86 Vgl. Wagnleitner , Coca-Colonisation , a. a. O., 26. 87 Für die Gegner der amerikanischen Republik bot der „Schandfleck der Sklaverei“, das „Brandmal der Na- tion“, wie Charlotte A. Lerg mit Hinweis auf zeitgenössische Aussagen deutscher Staatsrechtler und Politi- ker hervorhebt , „ein willkommenes Gegenargument , das keinen Widerspruch erlaubte , und durch das jeg- liche Bezugnahme auf vorbildliche Aspekte der USA abgewertet werden sollte. „Amerika lassen wir nicht gelten , es hat noch Sclaven“, fasste Carl Mathy in der Paulskirche diese Argumentationsweise zusammen.“ Lerg , Amerika als Argument. Die deutsche Amerika-Forschung im Vormärz , a. a. O., 306 f.
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Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
Subtitle
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Author
Christian H. Stifter
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2014
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
Size
17.0 x 24.0 cm
Pages
762
Keywords
US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorbemerkung 11
  2. Einleitung 15
  3. 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
    1. Das Bild Amerikas aus europäischer Sicht bis Anfang der 1930er-Jahre 33
    2. Spiegelung : Anmerkungen zum Bild Deutschlands und Österreichs aus US-amerikanischer Sicht 66
    3. NS-Feindbild Amerika : Antiamerikanismus als Kampf gegen „Niggerkultur“, „Judenstaat“ und „westliche Demokratie“ 82
  4. 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
    1. „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
    2. „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
    3. Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
    4. Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
    5. „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
    6. Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
    7. Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
    8. Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
    9. „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
    10. Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
    11. Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
    12. Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
    13. Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
  5. 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
  6. 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
    1. Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
    2. Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
    3. Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
    4. Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
    5. Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
    6. Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
    7. Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
    8. Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
    9. Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
    10. Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
    11. Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
    12. Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
    13. ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
    14. Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
    15. Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
  7. 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
    1. Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
    2. Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
    3. Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
    4. Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
    5. Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
  8. 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
    1. Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
    2. Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
    3. Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
    4. Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
    5. ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
    6. Schlussbemerkung 655
    7. Quellenverzeichnis 665
    8. Literaturverzeichnis 673
    9. Verzeichnis der Abkürzungen 735
    10. Personenverzeichnis 741
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