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Das Bild Amerikas aus europäischer Sicht bis Anfang der 1930er-Jahre
Abgesehen von der auch in der Habsburger-Monarchie konsumierten „Americana“-
Literatur entwickelten sich kontinuierliche diplomatische Kontakte zu Amerika , ähnlich
wie in anderen europäischen Staaten , auch am Wiener Hof erst vergleichsweise spät und
beschränkten sich zunächst vor allem auf Handelsbeziehungen.93
Wie zuvor bereits die Französische Revolution und die innere ‚Bedrohung‘ durch die
reformorientierten Jakobiner94 bedeutete spätestens seit dem Wiener Kongress 1814 / 15
auch die republikanisch-demokratische Verfassung Amerikas eine implizite politische Be-
drohung für die restaurative Herrschaftsordnung des alten Europa , gegen dessen imperiale
„aristokratisch-monarchische Weltbilder“ sich die 1823 proklamierte „Monroe-Doktrin“ als
panamerikanische Schutzklausel gegenüber Südamerika richtete.95
Die Haltung der Habsburgermonarchie zum republikanischen Amerika war grund-
sätzlich überaus distanziert und reserviert , zumal US-Politiker 1848 / 49 revolutionäre Ak-
tivitäten der Ungarn offiziell zumindest moralisch unterstützten.96 So berichtete Reve-
rend Philip Schaff anlässlich einer Europareise 1854 , dass speziell in Österreich „many
respectable men of high culture [ … ] spoke only with contempt of America , which they
regard as a grand bedlam , a rendezvous of European scamps and vagabonds.“97 Nach den
ersten großen Auswanderungswellen des 19. Jahrhunderts98 und dem sich langsam inten-
93 Abgesehen von der Scheu vor der Verbreitung republikanisch-demokratischen Gedankenguts spielten hier –
wie auch im Fall anderer europäischer Staaten – auch die unterschiedlichen politischen Kulturen und der
Informationsstand eine Rolle. So meinte etwa Thomas Jefferson in Bezug auf Österreich : „Sie schienen in
der Tat nur das von uns zu wissen , dass wir Rebellen sind , welche Glück gehabt , als sie das Joch des Mut-
terlandes von sich geworfen ; ohne irgend ein Verständnis sowohl für unseren Handel , welcher stets ein
Monopol Englands war , als auch über den beiderseits gleich vorteilhaften Warenaustausche zu besitzen ,
wollten sie sich so lange reserviert verhalten , bis sie klarer sehen könnten , was für Beziehungen nutzbar mit
uns angeknüpft werden konnten.“ Zit. nach : Hanns Schlitter , Die Beziehungen Österreichs zu Amerika
1778 bis 1885 , Innsbruck 1885 , 114 ff.
94 Vgl. Matthias Rettenwander , Nachwirkung des Josephinimus. In : Helmut Reinalter ( Hrsg. ), Josephinismus
als aufgeklärter Absolutismus , Wien
– Köln
– Weimar 2008 , 336 ff. ; weiters : Karl Ucakar , Demokratie und
Wahlrecht in Österreich. Zur Entwicklung von politischer Partizipation und staatlicher Legitimationspo-
litik , Wien 1985 , 40 f.
95 Vgl. Fröschl , Antiamerikanismus in Europa und Lateinamerika , a. a. O., 86 f.
96 Vgl. Spaulding , The Quiet Invaders , a. a. O., 45.
97 Philip Schaff , America. A Sketch of the Political , Social , and Religious Character of the United States ,
New York 1855 , VII. Zit. nach : Merle Curti , The Reputation of America Overseas ( 1776–1860 ). In : Ame-
rican Quarterly , No. 1 , 1949 , 61.
98 In der Zeit des Vormärz war die Auswanderung nach Übersee quantitativ vergleichsweise gering. Auch nach
der erfolglosen bürgerlichen Revolution von 1848 waren es hauptsächlich liberale demokratische Expo-
nenten , die das Land in Richtung Neue Welt verließen. Erst in den letzten beiden Dekaden des 19. Jahr-
hunderts stieg die Zahl der österreichischen Einwanderer in Nordamerika merklich an ( 1876 : 6173 ; 1890 :
32. 848 ; 1901 : 59. 581 ). Zwischen 1870 und 1910 kamen rund 3 Millionen Einwanderer aus Österreich-
Ungarn in die USA , wovon zwei Drittel Männer im Alter zwischen 14 und 40 Jahren waren ; über 50 % der
Auswanderer kamen aus der Landwirtschaft , rund 30 % waren ArbeiterInnen. Vgl. Heinz Faßmann , Aus-
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741