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1. Images , Stereotype und Vorurteile
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sivierenden Handelsverkehr tauchten auch hierzulande vereinzelt Studien auf , welche die
wirtschaftliche Übermacht Amerikas , die sich 1851 auf der Londoner Weltausstellung im
„Crystal Palace“ erstmals imposant gezeigt hatte ,99 sorgenvoll thematisierten. So umriss
zum Beispiel Alexander Peez
– Nationalökonom , Industrieller , Volksbildner und liberales
Reichsratsmitglied
– im Jahr 1881 detailliert die Gefahr der „Amerikanischen Concurrenz“
für Europa , wobei er als „Abwehrmaßnahme“ unter anderem die Schaffung eines „centra-
leuropäischen Bundes“ vorschlug. Peez resümierte in seiner Schrift sachlich-nüchtern und
hellsichtig zugleich :
„Man mag es gut finden oder nicht : die Staaten nehmen immer mehr den Charakter grosser
Genossenschaften an ( um nicht zu sagen ‚Geschäfte‘ ), mit dem Endzwecke der Sicherung ei-
nes grossen Antheils an den irdischen Gütern für alle Classen der Gesellschaft. [ … ] Wer nicht
zurückbleiben und zertreten sein will , muss mitlaufen , Ruhe und Romantik verschwinden aus
der Welt. Einen Tropfen amerikanischen Bluts müssen sich die alten Staaten des Continents
aneignen. Liebgewordene Träume , tausendjährige Vorurtheile sind nicht länger haltbar. Wie
wird in dieser grausamen Rennbahn der Ueberbelastete bestehen ? Und wird noch für den
Sport des Nationalitätenhaders Raum sein ?“100
In Reaktion auf die zunehmende Rohgüterüberschwemmung aus Amerika sowie auf die
allgemeinen politischen Gefahren einer „Amerikanisierung“ griffen sowohl der deutsche
Kaiser101 als auch das österreichische Außenamt die Idee einer Gründung von „Vereinigten
wanderung aus der österreichisch-ungarischen Monarchie 1869–1910. In : Traude Horvath / Gerda Neyer
( Hrsg. ), Auswanderung aus Österreich : Von der Mitte des 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Mit einer
umfassenden Bibliographie zur österreichischen Migrationsgeschichte , Wien – Köln – Weimar 1996 , 34 ff.
Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs war Österreich-Ungarn mit 20 % aller US-EinwanderInnen eine
Hauptquelle für die amerikanische Immigration. In der Zeitspanne zwischen 1901 und 1910 waren 18 %
der US-EinwandererInnen aus Österreich-Ungarn galizische Polen , 7 % waren Juden , 16 % Kroaten , Ser-
ben oder Slowenen und 15 % Slowaken. Wie u. a. anhand der Passagierlisten rekonstruiert werden konnte ,
bildeten zwischen 1876 und 1885 zunächst die Tschechen die Hauptgruppe der US-AuswandererInnen aus
Österreich-Ungarn. Die neue Immigrationswelle der letzten beiden Dekaden des 19. Jahrhunderts bis 1910
dominierte jedoch klar die Gruppe der Auswanderer aus Galizien , die rund 70 % aller US-Immigranten
ausmachte. Vgl. dazu den Projektbericht : Josef Ehmer / Annemarie Steidl / Hermann Zeitlhofer , Migration
Patterns in Late Imperial Vienna (= KMI Working Paper Series : Working Paper Nr. 3 ), Kommission für
Migrations- und Integrationsforschung , Österreichische Akademie der Wissenschaften , Wien 2004 , 7 bzw.
17. Ich danke an dieser Stelle Herrn Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb für den Literaturhinweis.
99 Vgl. Curti , The Reputation of America Overseas , a. a. O., 78.
100 Alexander Peez , Amerikanische Concurrenz , Wien 1881 , 118. Vorangestellt ist dem Buch folgendes ame-
rikanisches Sprichwort : „Es genügt nicht grosse Scheunen zu bauen , und zu warten , bis Gott sie füllt.“
101 Auf amerikanischer Seite prägten die martialischen Reden des antisemitischen „war lord“ Wilhelm II.
das öffentliche Bild der Deutschen ; für Präsident Roosevelt war er gar „a perfect fool“. Zit. nach : Rai-
mund Lammersdorf , Zur Perzeption Wilhelm II. in den Vereinigten Staaten , 1888–1909. In : Amerikastu-
dien / American Studies , 31. Jg., 1986 , Heft 3 , 301.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741