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1. Images , Stereotype und Vorurteile
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seit dem US-amerikanischen Kriegseintritt 1917
– die militärische Einmischung der USA
wurde ebenso wie „Wilsons Nachkriegspolitik als unstatthafte Einmischung in europäi-
sche Angelegenheiten“138 verurteilt
– voll auf den grassierenden Antiamerikanismus einge-
schwenkt : sie machten den amerikanischen „Utilitarismus“ für die „geistige Krise , die Eu-
ropas Niedergang in die Wege geleitet habe“,139 verantwortlich. Auch hier wurde Amerika
„als mahnendes Schreckbild“ für den alten Kontinent betrachtet , drohte der „Taylorismus ,
Vermassung und Verlust der sozialen Bindungen [ … ] auch Europa zu zersetzen , wenn der
Siegeszug des Amerikanismus nicht aufgehalten werden konnte.“140
Angesichts der „ökonomischen Demoralisierung“141 und der Überschwemmung mit
standardisierter Massenware verschärfte sich die Kritik an Amerika , da nun zuneh-
mend auch Zweifel und Skepsis gegenüber dem gesellschaftlich-politischen System ins-
gesamt laut wurden : „[ … ] democracy has become a synonym for machine politics.“142
Die Schattenseiten wie Korruption , hohe Kriminalität , Sklaverei beziehungsweise
„Rassenunterschiede“143 und die Rechtlosigkeit der Arbeiterklasse traten in den Vorder-
grund und warfen die Frage auf , wie es um die proklamierte Freiheit des „Land of free-
dom“ eigentlich bestellt ist. Anders als linke Theoretiker wie Karl Marx , Siegfried Kracauer ,
Walter Benjamin oder Antonio Gramsci , die in der amerikanischen Produktions- und
Reproduktionsweise die transatlantische Front der europäischen Entwicklung sahen ,144
nism after 1945 , New York – Oxford 2006 , 44 ff. ; sowie weiters : Philippe Roger , L’Ennemi américain.
Généalogie de l’antiaméricanisme français , Paris 2002.
138 Urs Bitterli , God’s own country ? Einige Überlegungen zum Antiamerikanismus. In : Thomas Beck / Marília
dos Santos Lopes / Christian Rödel ( Hrsg. ), Barrieren und Zugänge. Die Geschichte der europäischen
Expansion , Wiesbaden 2004 , 232–247.
139 Hans-Wilhelm Eckert , Konservative Revolution in Frankreich ? Die Nonkonformisten der Jeune Droîte
und des Ordre Nouveau in der Krise der 30er Jahre (= Studien zur Zeitgeschichte , Bd. 58 ), München 2000 ,
98.
140 Ebd., 99 ; zum Entwicklungsverlauf des französischen Antiamerikanismus nach dem „Schwarzen Freitag“
1929 siehe im Detail : Seth D. Armus , French anti-Americanism , 1930–1948. Critical moments in a com-
plex history , Lanham 2007 , 20 ff.
141 Tom Mann , Preface. In : W. T. Colyer , Americanism. A World Menace , London 1922 , 1.
142 Ebd., 159.
143 Obwohl der Vorwurf der Ungleichbehandlung bezeichnenderweise kaum breiten Raum einnahm , eignete
sich der Hinweis auf die Diskriminierung der „Neger“ doch gut , um auf die Bigotterie der amerikanischen
Demokratie insgesamt zu verweisen. Zum Verlauf der europäischen Diskussion rund um die Fragen der
amerikanischen Rassendiskriminierung beziehungsweise der Sklaverei siehe die materialreiche Presseaus-
wertung bei Thaller , Studien zum europäischen Amerikabild , a. a. O., Bd. II , 442 ff.
144 „Dass es sich im Falle des Amerikanismus , nicht nur im Sinne von Kaffeehausleben , sondern auch als
Ideologie des Rotary Clubs , nicht um einen neuen Zivilisationstyp handelt , ist daran ablesbar , dass nichts
sich geändert hat am Charakter und an den Beziehungen der fundamentalen Gruppen : es handelt sich um
eine organische Verlängerung und Intensivierung der europäischen Zivilisation , die im amerikanischen
Klima lediglich eine neue Haut angenommen hat.“ Gramsci , Amerikanismus und Fordismus , a. a. O.,
2099 f. ; siehe weiters : Siegfried Kracauer , Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland , Frankfurt a.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741