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Das Bild Amerikas aus europäischer Sicht bis Anfang der 1930er-Jahre
schwenkte auch die europäische Arbeiterbewegung , wenn auch in gemäßigter Form , auf
den Antiamerikanismus ein.145
Gramsci analysierte die Situation 1934 präzise : „Was heute ‚Amerikanismus‘ genannt
wird , ist großenteils die vorbeugende Kritik der alten Schichten , welche die mögliche neue
Ordnung geradezu erdrücken wird und die bereits jetzt von einer Welle gesellschaftlicher
Panik der Auflösung und Verzweiflung gepackt sind , es ist ein Versuch unbewusster Re-
aktion von jemand , der unfähig zur Rekonstruktion ist und sich auf die negativen Aspekte
der Umwälzung beruft.“146
Noch vor dem Börsenkrach erreichten die bildungsbürgerlichen , oft auch technopho-
ben Überfremdungsängste hinsichtlich des Verhältnisses von ( deutscher ) Hochkultur
einerseits und amerikanischer Kommerzkultur beziehungsweise der „zivilisatorischen
Barbarei“147 andererseits einen ersten vorläufigen Höhepunkt. In dem Buch des deut-
schen Erfolgsautors Adolf Halfeld verdichteten sich gleichsam alle bisherigen Negativ-
Vorurteile und Stereotype , die in der Provinzpresse bereits seit Beginn der Zwanziger-
jahre verbreitet waren , zu einer einzigen Ablehnungstirade gegen das „Imperium“ der
„Dollardiktatur“:
„Zwei Welten , zwei Kulturen. Aber kaum wohl geistige Brücken , die über den Atlantischen
Ozean führen. Und vollends Verquickung oder gegenseitige Befruchtung würde Herabwür-
digung des europäischen Niveaus bedeuten , ohne daß doch der noch unentwickelten Eigen-
art Amerikas gedient wäre. Jazz , Hollywood und Yankeeland-Rhapsodien beweisen es uns
täglich.“148
Main 1971 [ 1930 ] ; Walter Benjamin , Politisierung der Intelligenz. Zu S. Kracauers „Die Angestellten“.
In : Kracauer , Die Angestellten , a. a. O., 118 ff.
145 In Ambivalenz zwischen Abwehr und Faszination der amerikanischen Massenkultur verwendete die So-
zialdemokratie , in deren Konzept des „Neuen Menschen“ sich Hochkultur mit eigenständiger Arbeiter-
kultur verschränken sollte , Anfang der 1920er-Jahre auch Begriffe wie „Entartung“ und „Niggerkultur“.
Siehe : Adelheid von Saldern , Überfremdungsängste. Gegen die Amerikanisierung der deutschen Kultur
in den zwanziger Jahren. In : Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhun-
derts (= Transatlantische Historische Studien , Bd. 6 ). Hrsg. v. Alf Lüdtke / Inge Marßolek / Adelheid von
Saldern , Stuttgart , 1996 , 215. Vgl. Colyer , Americanism , a. a. O., 161 ; zur Ambivalenz gegenüber der US-
amerikanischen Kultur in der Weimarer Zeit siehe insbesondere auch : Frank Peter Biess , Zwischen Ford
und Hollywood. Amerika und der Amerikanismus in der Weimarer Republik , 1924–1930 , MA Thesis ,
Washington University 1992.
146 Gramsci , Amerikanismus und Fordismus , a. a. O., 2099.
147 Ernst Jünger , Das Sibirische Tagebuch. In : Ja und Nein , 1. 1929 , Heft 7 / 8 , 27. Zit. nach : Otto , Deutsche
Amerika-Bilder , a. a. O., 168.
148 Adolf Halfeld , Amerika und der Amerikanismus. Kritische Betrachtungen eines Deutschen und Europä-
ers , Jena 1927 , 145.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741