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1. Images , Stereotype und Vorurteile
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Als Belege für die mechanisierte , maschinenhafte , „verkümmerte Zivilisation“ der USA149
führte Halfeld unter anderem an : die „Simplizität aller Lebensgrundsätze“, „rassefremde
Einwanderung aus dem Osten“, „seelische Sterilität“, „Taylorisierung der Arbeiterhirne“,
„übermütige Lustigkeit des Parvenülandes“, „salonfähiger Barbarismus und stimulierte
Stimmungsmache“,150 „Anmaßung und Geschmacklosigkeit“ der Literatur und Publizis-
tik ,151 die „Unzulänglichkeit des Bildungswesens“, „schablonenhaftes Denktraining“, hoher
Analphabetismus152 sowie „Kulturfeminismus“,153 der diese konservativ-reaktionäre Ka-
pitalismuskritik um das Schreckensszenario einer ins Berufsleben vordringenden Masse
geschminkter Amazonen abrundete. Dieser Einfluss von Frauen im öffentlichen Leben
der USA veranlasste Geistliche dazu , im amerikanischen Feminismus geradezu die Um-
kehrung des göttlichen Schöpferwillens zu sehen.154
Tatsächlich war es insbesondere die moderne , emanzipierte Stellung der Frau in der
US-amerikanischen Gesellschaft , die die zumeist männlichen europäischen Reiseschrift-
steller mit allergrößter Verblüffung registrierten und wohl nicht wenige ihrer Leser ver-
unsichert haben mag. Die Amerikanerinnen wurden als „rational und umfassend gebildet“,
als „selbstbewußt und emanzipiert [ … ] bisweilen extrem verwöhnt“ wahrgenommen und
hatten damit Eigenschaften , die „dem europäischen Frauenbild um die Jahrhundertwende
zumal im konservativ-liberalen Bürgertum fast diametral entgegenliefen und daher Irrita-
tion auslösten.“155 Ähnliches galt auch für die sich in Amerika abzeichnende Veränderung
der Geschlechterbeziehungen sowie der Umkehr der traditionellen familiären Hierarchien ,
die ebenfalls ambivalente Reaktionen und Typisierungen auslösten.156
149 „Eine Zivilisation , die sechzigtausend [ sic ] Menschen zumutet , in einem einzigen , um die Grand Cen-
tral Station in Neuyork gelagerten Häuserblock zusammenzuhausen , nicht weil das Gebot des Raumes
dazu zwang , sondern weil sinnlose Spekulation die Preise in die Höhe trieb – eine Zivilisation , die darin
nicht nur unleugbare technische Leistung , sondern eine ethische Tat erblickt : Sie muß schließlich auch
die Geister nummerieren , damit der Betrieb , ihr großer Zweck , ungehindert funktionieren kann.“ Hal-
feld , Amerika und der Amerikanismus , a. a. O., 76 f. ; vgl. weiters : Schmidt , Reisen in die Moderne. Der
Amerika-Diskurs des deutschen Bürgertums , a. a. O., 127 f.
150 Ebd., 239.
151 Ebd., 223.
152 Ebd., 184.
153 Die gestärkte soziale Position der Frau in der amerikanischen Gesellschaft wurde mit ebenso großem
Argwohn betrachtet wie der „Bluff“ ihres hübschen äußeren Erscheinungsbildes : „Sie [ die Amerikanerin ,
d. Verf. ] verwandelt ihr Gesicht in eine Maske , die dem allgemeinen Geschmack entspricht. Sie verun-
staltet die Lippen mit dem Lippenstift zu einem ovalen Etwas ; zupft sich Augenbrauen aus , um Zügen ,
die es nicht selten nötig haben , den Anschein der Delikatesse zu geben [ … ].“ Halfeld , Amerika und der
Amerikanismus , a. a. O., 212.
154 So bspw. im Fall des Münchner Kaplans Joseph Roth 1927. Siehe : Adelheid von Saldern , Überfremdung-
sängste. Gegen die Amerikanisierung der deutschen Kultur in den zwanziger Jahren , a. a. O., 223.
155 Schmidt , Reisen in die Moderne. Der Amerika-Diskurs des deutschen Bürgertums , a. a. O., 191.
156 Vgl. ebd., 202 ff.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741