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Das Bild Amerikas aus europäischer Sicht bis Anfang der 1930er-Jahre
„ ‚Amerika , Du hast es besser !‘ – So könnten bedauernd die Universitäten der alten Welt seuf-
zen. Sparend und knausernd müssen diese meistentheils trachten , mit den ihnen vom Staat zur
Verfügung gestellten Mitteln das Auskommen zu finden. Wie anders doch ihre amerikanischen
Schwestern ! Kaum eine der Universitäten in Amerika ist auf Staatshilfe angewiesen ; denn beina-
he eine jede hat ihr eigenes Vermögen , das von Schenkungen wissenschafts- und bildungsfreund-
licher Millionäre und Milliardäre herrührt. [ … ] Millionäre gibt es überall ; aber wie man sieht ,
gleichen auch Millionäre sich nicht überall. Vielleicht ermuntert die Veröffentlichung dieser Liste
die europäischen Millionäre zu gleichem Thun und Spenden [ … ] und vielleicht wird man daher
in nicht allzu ferner Zeit sprichwörtlich sagen können : Gute Beispiele bessern schlechte Sitten.“201
Aber nicht nur das Universitätssystem Amerikas fand Beachtung unter österreichischen
Volksbildnern , sondern auch spezifisch amerikanische Einrichtungen wie die philanthro-
pischen Kurse und Vorträge , die eine Ausbildung für die Arbeit in der Armen- und Wohl-
fahrtspflege offerierten ,202 wie zum Beispiel an der 1904 gegründeten „New York School of
Philanthropy.“203 Darüber hinaus wurde auch die Praxis der „amerikanischen Volkserzie-
hung“, die insbesondere in Form der universitär angebundenen „Settlements“ auch in ver-
armten Gegenden und Stadtvierteln Nachbarschaftshilfe und Bildungsarbeit organisierten ,
überaus positiv rezipiert.204 Für die nachhaltige Würdigung US-amerikanischer Volksbil-
dungsaktivitäten sorgten vereinzelt auch Fachbeiträge amerikanischer Bildungsexperten ,
die die nationalen edukativen Anstrengungen in diesem Bereich freilich ebenso detailliert
wie glorreich darstellten und Amerika – vis à vis der europäischen Länder – geradezu
als die Volksbildungsnation schlechthin präsentierten. So in einem Beitrag des deutsch-
amerikanischen Schriftstellers Karl Knortz ,205 der 1907 in dem von Ernst Schultze und
Gustav Hamdorff herausgegebenen Archiv für das Volksbildungswesen aller Kulturvölker ei-
201 Ebd.
202 Zur frühen Ausbildung der Sozialberufe in Amerika siehe : Marcus Gräser , Wohlfahrtsgesellschaft und
Wohlfahrtsstaat. Bürgerliche Sozialreform und Welfare State Building in den USA und in Deutsch-
land 1880–1940 , (= Bürgertum. Neue Folge. Studien zur Zivilgesellschaft , Bd. 6. Hrsg. v. Manfred Hett-
ling / Paul Nolte ), Göttingen 2009 , 244 ff.
203 Schools of Philanthropy in Amerika. In : Das Wissen für Alle , 7. Jg. 1907 , Bd. 30 , 476 f.
204 Ueber amerikanische Volkserziehung. In : Das Wissen für Alle , 9. Jg. 1909 , Bd. 2 , 27 f. Der Beitrag bezog
sich auf einen zuvor in der Frankfurter Zeitung abgedruckten Artikel. Vgl. ebd., 27.
205 Karl Knortz ( 1841–1918 ), geb. in Garbenheim bei Wetzlar , studierte u. a. Philosophie an der Universität
Heidelberg. Nach einem Aufenthalt in London wanderte Knortz 1863 in die USA aus. Von 1864–1871
lehrte er als Professor der deutschen und lateinischen Sprache an der Universität Wisconsin. Nach Über-
siedlung nach Cincinnati übernahm er die deutsche Abteilung des dortigen städtischen Lehrerseminars.
Von 1875 an arbeitete er zudem als Redakteur der Indiana-Deutschen-Zeitung in Indianapolis. Ab 1886
zog sich Knortz , der mit Walt Whitmann befreundet war , nach New York zurück , und widmete sich dort
v. a. seinen umfangreichen Studien bzw. seinem schriftstellerischen Werk. Siehe : Lexikon der deutschen
Dichter und Prosaisten des neunzehnten Jahrhunderts. Bearb. v. Franz Brümmer , 5. ergänzte u. vermehrte
Aufl., 2. Bd. : Gi-L , Leipzig [ 1895 ] , 308.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741