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1. Images , Stereotype und Vorurteile
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einen ,225 überwog innerhalb der amerikanischen Gesellschaft bis Anfang des 20. Jahrhun-
derts eine freundlich-wohlgesonnene Einstellung gegenüber Deutschen sowie ein hohes
Ansehen deutscher Kultur und Wissenschaft.
Nach dem Sturz Napoleons III. unterlag das Stimmungsbarometer der öffentlichen
Meinung Amerikas gegen Ende des 19. Jahrhunderts , auch wegen des aggressiven Milita-
rismus und der imperialen Machtpolitik des Wilhelminischen Reiches , aber einem tief-
greifenden Wandel , der im Verlauf des Ersten Weltkrieges schließlich seinen vorläufigen
Tiefpunkt erreichen sollte.
Anders als die meisten europäischen Länder , so wie selbst Großbritannien , hatte sich
die Habsburgermonarchie nicht zu einer offiziellen Anerkennung der neu geschaffenen
amerikanischen Staatsunion durchringen können und betrieb auch die wirtschaftlichen
Handelsbeziehungen bis zu den ersten offiziellen Handelsverträgen auf verschämt inof-
fizieller Basis ; erst am 1. Juni 1837 holte Staatskanzler Fürst Metternich bei Kaiser Ferdi-
nand I. die Genehmigung zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den Vereinigten
Staaten von Amerika ein.226 Die katholische Habsburgermonarchie , geführt von einem
„idiot“ als Kaiser ( Thomas Jefferson ) und dem reaktionären Metternichschen System , das
die Freiheitsbestrebungen in Griechenland , Italien und Spanien niederschlagen half , wur-
den aus amerikanischer Perspektive geradezu zum Inbegriff eines despotisch-reaktionären
Herrschaftssystems , das auf polizeilicher Bespitzelung , Pressezensur und Ausbeutung der
werktätigen Bevölkerung beruhte. Den Hauptrepräsentanten dieses Systems sowie der
„Holy Alliance“, nämlich Metternich ,227 belegte der berühmte amerikanische Erfinder des
Telegrafen , Samuel F. B. Morse , kurzerhand mit folgenden Worten : „the greatest enemy of
the human race who lived for ages“.228
225 Totten , Deutschland – Soll und Haben. Amerikas Deutschlandbild , a. a. O., 36.
226 Als Grund hierfür wie für die nachfolgende kaiserliche Ernennung eines österreichischen Gesandten in
New York am 3. April 1838 führte Metternich aus : „Bei dem stets zunehmenden Gewichte , welches die
rasch in ihrer Entwicklung fortschreitenden Nordamerikanischen Freistaaten in der politischen Wag-
schale [ sic ] gewinnen , war es wirklich auffallend , daß Österreich , im Gegensatz mit fast allen anderen
grösseren Staaten , bisher gar keine diplomatischen Verbindungen mit besagten Freistaaten angeknüpft
hatte , obwohl der Handelsverkehr zwischen den beiderseitigen Unterthanen bereits eine solche Wichtig-
keit erlangt , daß einige Handelsverträge nothwendig geworden waren [ … ]“. Zit. nach : Matsch , Wien –
Washington. Ein Journal diplomatischer Beziehungen 1838–1917 , a. a. O., 1. Vgl. dazu auch : Renate Go-
ger , Die Beziehungen der Habsburgermonarchie zu den Vereinigten Staaten von Amerika von 1838 bis
1967 , phil. Diss., Univ. Wien 2010 , 21 f.
227 Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich-Winneburg zu Beilstein ( 1773–1859 ), führender öster-
reichischer Politiker der Restaurationszeit ; 1809 wurde Metternich Außenminister und 1821 österrei-
chischer Staatskanzler , der mit polizeistaatlichen , antiliberalen Mitteln die absolutistische Staatsmacht
zu bewahren bemüht war. Vgl. Wolfram Siemann , Metternich. Staatsmann zwischen Restauration und
Moderne , München 2010.
228 Zit. nach : Spaulding , Quiet Invaders , a. a. O., 43.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741