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1. Images , Stereotype und Vorurteile
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non-political and unofficial“,262 war offensichtlich , dass sich das amerikanisch-österreichi-
sche Verhältnis nachhaltig eingetrübt hatte. In einem diplomatischen Bericht vom 11. Feb-
ruar 1898 hielt der österreichische Gesandte in New York mit kritischem Unterton fest , dass
die Habsburgermonarchie nunmehr „die einzige europäische Großmacht“ sei , „welche ihre
Vertretung hier in der früheren Weise als Gesandschaft belassen hat.“ Und weiter : „Daß
die Fortdauer dieses Zustandes unserem Ansehen und der Wirksamkeit unserer Vertretung
bei den Vereinigten Staaten nicht förderlich ist , drängt sich vom hierortigen Standpunkte
von selbst auf. Die natürliche Entwickelung der Dinge ist aber zugleich eine solche , daß
während die Rangerhöhung unserer Vertretung heute noch als ein Compliment an die Ver-
einigten Staaten erschiene , sie in absehbarer Zeit diesen Charakter verlieren und als aufge-
drungene Anerkennung der hiesigen Machtstellung aufgefaßt werden könnte.“263
Es verwundert kaum , dass parallel zum anwachsenden europäischen Antiamerikanis-
mus und angesichts des zunehmenden Selbstbewusstseins amerikanischer Wirtschaft und
Politik , die kulturellen Vorurteile der Alten Welt gegenüber Amerika
– so Günter Bischof
–
nunmehr vermehrt auch zurückgespiegelt wurden. So zeigte sich anlässlich der Wiener
Weltausstellung 1873 der Leiter der amerikanische Delegation , Charles Francis Adams ,
nur wenig beeindruckt und war von der amerikanischen Überlegenheit gegenüber der so-
zial und ökonomisch rückständigen Donaumonarchie und ihrer verabscheuungswürdigen
Reichsmetropole überzeugt.264
Im Unterschied zu Österreich , wo sich trotz des keineswegs ungespannten Verhältnisses
der USA zur österreichischen Monarchie , weder im Verlauf des 19. noch zu Beginn des
20. Jahrhunderts ein spezifisch negatives amerikanisches Österreich-Stereotyp herauskris-
tallisierte ,265 kippte das ehemals positive amerikanische Bild von Deutschland und den
Centuries , a. a. O., 66 f. Bezeichnenderweise nahm Heinrich Drimmel einen von Hülsemann verwendeten
Begriff , der die vollständige politisch-weltanschauliche Unvereinbarkeit der USA und der Habsburgermo-
narchie bezeichnete – „antipodär“ – als Titelbegriff für sein Buch , dessen wertkonservativen Ausführungen
er zudem die Einleitung aus Hülsemanns Dissertation voranstellte. Vgl. Heinrich Drimmel , Die Antipoden.
Die Neue Welt in den USA und das Österreich vor 1918 , Wien – München 1984 , 9 f.
262 Spaulding , Quiet Invaders , a. a. O., 46.
263 Zit. nach : Matsch , Wien
– Washington. Ein Journal diplomatischer Beziehungen 1837–1917 , a. a. O., 433.
264 Vgl. Bischof , Two sides of the Coin , a. a. O., 151.
265 So hatte Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain ( 1835–1910 ) zwar anlässlich seiner Besuche im
österreichischen Parlament gehässige Schimpftiraden und Schreiduelle zwischen Lueger und Schönerer
mitverfolgt und den Nationalitätenkonflikt als ernstes Problem registriert , aber sonst nahm er mit al-
lergrößtem Interesse an den gesellschaftlichen Ereignissen der Wiener Salonkultur teil und zeigte sich
hocherfreut über eine ihm zuteil gewordene Privataudienz bei Kaiser Franz Joseph I.. Siehe : Albert Lo-
cher , Mit Mark Twain durch Europa. Samuel Langhorne Clemens in der Alten Welt ( 1891–1899 und
1903 / 1904 ). Bd. 2 , o. O. 2007 , 182 ff. bzw. 209. Vgl. dazu neuerdings auch den in deutscher Fassung
publizierten Bericht Mark Twains zu den schier unglaublich turbulenten Geschehnissen im österreichi-
schen Reichsrat anlässlich der Badenischen Sprachenverordnung im Oktober / November 1897 , wo es
zu wüsten antisemitischen Schreiduellen und vulgären Verbalinjurien ( „Krieg der Beleidigungen“ ) und
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741