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1. Images , Stereotype und Vorurteile
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Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges
– und nicht erst mit Kriegseintritt der USA 1917 ,
wie Alexander Sedlmaier meint283 – kulminierte die bisherige Ablehnung und Aversion
gegenüber deutscher Großmannssucht und pangermanisch-militärischem Säbelrasseln
aber schließlich in einer offenen und geradezu exzessiven Kampagne der US-Presse gegen
die mörderischen Deutschen , die nun nicht mehr nur als Inbegriff von Militarismus und
Imperialismus galten , sondern mit propagandistischem Aufwand als „outlaws“, als mör-
derische „Hunnen“, als „barbarische Kindermörder und Hochseepiraten“284 dämonisiert
wurden , geführt von einem hinterlistigen und brutalen Tyrannen , den man sogar zum Sa-
tan ( „Satanic Kaiser“ ) stilisierte.285 Zudem trug Präsident Woodrow Wilson , der offiziell
zunächst noch weiter auf Neutralitätspolitik und friedliche Beziehungen zu Deutschland
setzte ,286 zur inneramerikanischen Hetze gegen die Deutschamerikaner bei , indem er diese
1915
– „born under other flags but welcomed under our generous naturalization laws to the
full freedom and opportunity of America“
– in einer Rede als Störenfriede der nationalen
Friedens bezeichnete.287
Die hysterische Stimmung führte zu Schmähungen und gewaltsamen Übergriffen ge-
genüber Deutschamerikanern288 sowie zur Ächtung deutscher Kultur und Sprache an der
„Heimatfront“.289 Unterstützt wurde diese Stimmung gegen alles Deutsche – zusätzlich
aufgeheizt durch die Versenkung des englischen Passagierschiffes „Lusitania“ im Mai 1915 ,
auf dem sich 128 Amerikaner befanden , und dem fortgesetzten deutschen U-Bootkrieg290
–
283 Vgl. Alexander Sedlmaier , Deutschlandbilder und Deutschlandpolitik. Studien zur Wilson-Administra-
tion ( 1913–1921 ) (= Historische Mitteilungen im Auftrag der Ranke-Gesellschaft. Hrsg. v. Jürgen El-
vert / Michael Salewski , Bd. 51 ), Stuttgart 2003 , 76.
284 Vgl. Totten , Deutschland – Soll und Haben. Amerikas Deutschlandbild , a. a. O., 86.
285 Mollin , Amerikanische Spiegelungen – das Deutschlandbild in den USA , a. a. O., 77.
286 In einem veröffentlichten Appell an die US-Bevölkerung vom 18. August 1914 hatte Wilson noch davon
gesprochen , das sich die Vereinigten Staaten unparteiisch
– „impartial in thought as well as in action“
– zu
verhalten beabsichtigten. Daniel , A Brief Time to Discuss America. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs
im Urteil amerikanischer Politiker und Intellektueller , a. a. O., 77.
287 Zit. nach : Sedlmaier , Deutschlandbilder und Deutschlandpolitik. Studien zur Wilson-Administration ,
a. a. O., 59.
288 Tatsächlich gab es auch ein Opfer , einen jungen deutschstämmigen Minenarbeiter in Illinois. Vgl. Don
H. Tolzmann ( Ed. ), German-Americans in the World Wars. Bd. 1 : The Anti-German Hysteria of World
War One , München
– New Providence 1995 , 237 ff. Zit. nach : Mollin , Amerikanische Spiegelungen
– das
Deutschlandbild in den USA , a. a. O., 77.
289 So wurde in den Bildungseinrichtungen der US-Bundesstaaten die deutsche Sprache regelrecht eliminiert ,
was , wie Mollin ausführt , zu einem „Kahlschlag“ führte : zwischen 1915–1922 „verringerte sich der Anteil
von deutschlernenden High-School-Schülern von 25 % auf weniger als 1 %“. Mollin , Amerikanische Spie-
gelungen – das Deutschlandbild in den USA , a. a. O., 78 ; vgl. dazu insbesondere auch : Paul Finkelman ,
War on German Language and Culture , 1917–1925. In : Hans-Jürgen Schröder ( Ed. ), Confrontation and
Cooperation. Germany and the United States in the Era of World War I , 1900–1924 , Oxford 1993 , 189 ff.
290 Vgl. Sedlmaier , Deutschlandbilder und Deutschlandpolitik. Studien zur Wilson-Administration , a. a. O.,
183 f.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741