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NS-Feindbild Amerika : Antiamerikanismus
Muster zum Einsatz kamen , wurden diese umgehend ideologisch „germanisiert“. Allerdings
verlief die kulturelle De-Amerikanisierung im Bereich von Film und Musik langsam bezie-
hungsweise nur mäßig erfolgreich. Obwohl die Zahl amerikanischer Filme nach 1933 rasch
abnahm , bis 1940 schließlich nur mehr fünf zur Aufführung kamen ,304 fanden US-Filme
mit Clark Gable , Joan Crawford , Gary Cooper ebenso ihr Publikum wie Mickey Mouse ,
Goofy und andere Produktionen von Walt Disney.305 Und trotz des generellen Verbots von
US-Filmen ab 1940 wurden in Dänemark zur deutschen Truppenbetreuung noch bis Mitte
des Jahres 1944 Mickey Mouse- und Donald Duck-Filme gezeigt.306 Ähnlich verhielt es
sich beim Jazz
– in der Hand der Juden eine „außerordentlich gefährliche weltanschauliche
Waffe , die arischen Völker zu unterhöhlen“307 –, der zwar vollständig und gründlich diffa-
miert , aber dennoch nicht gänzlich „ausgemerzt“ werden konnte.308
Der Nationalsozialismus verstand sich dezidiert als „völkische Revolution“ gegen die
Ideen der Französischen Revolution , gegen Demokratie und Liberalismus. Wie Philipp
Gassert herausstreicht , spiegelt das NS-Amerikabild dabei zentrale Inhalte der NS-Ideo-
logie wieder. Der „reaktionäre Modernismus“309 der Zwischenkriegszeit , also die Bewun-
derung der ökonomisch-technischen Effizienz Amerikas bei gleichzeitiger Ablehnung von
Demokratie und massenkulturellem Konsum-Individualismus , sollte nun in Verbindung
von hocheffizienter „Technik und ( deutscher ) Kultur“310 zum erfolgreichen autoritären
Gegenprogramm zur Moderne werden.311
Trotz allen Hasses auf die Siegermacht USA , auf den „Verrat“ Woodrow Wilsons am
deutschen Volk im Zusammenhang mit den uneingelösten „14-Punkten“ von 1918 und auf
den Versailler Friedensvertrag war Hitler regelrecht fasziniert vom technologischen Vor-
‚jüdische Weltverschwörung‘ zu publizieren. Übersetzungen dieser antisemitischen Hetzschrift wurden
auch ins Deutsche übersetzt und kursierten Anfang der 1920er-Jahre auch in Europa. Wie Leonard Din-
nerstein darlegt , hatte dieses Pamphlet auch einen gewissen Einfluss auf Hitlers „Mein Kampf“. Nicht
zuletzt hielt Hitler ein Foto von Henry Ford I. in Ehren und zeichnete diesen 1938 zu dessen 75. Ge-
burtstag mit dem „Verdienstorden vom Deutschen Adler“ aus. Vgl. Leonard Dinnerstein , Antisemitism in
America , New York 1994 , 82 f. ; siehe weiters : James E. Pool , Who financed Hitler. The secret funding of
Hitler’s rise to power , 1919–1933 , New York et al. 1997 , 45 ff.
304 Gassert , Amerika im Dritten Reich , a. a. O., 165.
305 Vgl. Carsten Laqua , Wie Mickey unter die Nazis fiel. Walt Disney und Deutschland , Reinbek 1992 , 44 f.
306 Laqua , Wie Mickey unter die Nazis fiel , a. a. O., 100 ; Gassert , Amerika im Dritten Reich , a. a. O., 172.
307 Amerikanismus eine Weltgefahr , Reichsführer SS , a. a. O., 36.
308 Vgl. dazu : Mike Zwerin , La tristesse de Saint Louis : Jazz Under the Nazis , New York 1987 ; Heiko Hase-
bein , Unerwünscht – toleriert – instrumentalisiert. Jazz und Swing im Nationalsozialismus. In : 1999 , 10.
Jg., 1995 , 38–52 ; Uta G. Poiger , Jazz , Rock , and Rebels : Cold War Politics and American Culture in a
Divided Germany , Berkeley 2000.
309 Vgl. Jeffrey Herf , Reactionary Modernism. Technology , Culture and Politics in Weimar and Third Reich ,
Cambridge 1984.
310 Gassert , Amerika im Dritten Reich , a. a. O., 16.
311 Vgl. Peter Schwerber , Nationalsozialismus und Technik. Die Geistigkeit der nationalsozialistischen Be-
wegung , München 1932 [ 1930 ] , 40 ff.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741