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NS-Feindbild Amerika : Antiamerikanismus
den Amerikanern unsere größten Feinde. [ … ] Bis zu dem Zeitpunkt , als ich das erste Mal
mit Amerikanern gesprochen habe , dann war plötzlich dieser Bann gebrochen.“375
An anderer Stelle erinnert sich eine damals 15-jährige Schülerin aus Radstadt an die
ersten Begegnungen mit den amerikanischen Besatzern :
„Wir haben ja von den Nazis nie etwas Positives gehört über die Amerikaner – also ei-
gentlich nur furchtbare Sachen , daß das die bösartigsten Menschen sind. Jetzt waren wir
schon erleichtert , daß die wenigstens ganz normal gekocht haben [ … ]“.376
Einen positiven Effekt auf den Abbau von Vorurteilen und antiamerikanischen Einstel-
lungen hatten sicherlich die trotz anfänglichen Fraternisierungsverbotes unmittelbar nach
Kriegsende stattfindenden Kontakte zwischen den US-Besatzungssoldaten und der Bevöl-
kerung in Deutschland und Österreich , wodurch es zur einer allmählichen „Normalisierung“
der Beziehungen kam , wie eine US-Studie bereits zwei Jahre nach Kriegsende darlegte.377
Eindrucksvoll liest sich der durch das konkrete Auftreten und die materiellen Hilfestel-
lungen der GI’s induzierte Meinungsumschwung in der Erinnerungsperspektive eines zu
Kriegsende 13-jährigen Mädchens aus Bischofshofen :
„Ja , wir haben Angst gehabt , wir haben uns gefürchtet vor den Amis. Es hat ja bei den Natio-
nalsozialisten immer geheißen , daß das ein grausames Volk ist , die Schwarzen , die Menschen-
fresser. Und dann kommen da lauter ‚Nikoläuse auf Jeeps‘ – mit Schokolade und Kaugummi
für die Kinder.“378
Die tiefsitzende Gespaltenheit und die Ressentiments insbesondere der Soldatengenerati-
on und der durch die NS-Indoktrinierung maßgeblich geprägten Jugendgeneration gegen-
über den US-Besatzern
– „das waren ganz normale Leute , nur halt doch primitiv“379
– ver-
mochten das Auftreten und die besatzungspolitischen Maßnahmen der ‚saloppen Sieger‘
nur allmählich zu verändern.
375 Interview mit Herrn S., Jg. 1929. Ebd., 77. In etwas abgemilderter Form : „Für mich sind klarerweise
die Amerikaner in der ersten Folge als Besatzer dagewesen , da gibt es keine Zweifel. Aber mit längerem
Nachdenken , muss ich heute sagen , haben die Amerikaner für mich auch den Status von Befreiern ge-
habt.“ Interview mit Herrn H., Jg. 1928. Zit. nach : Bauer , Welcome Ami Go Home , a. a. O., 78. Unter
den Parteigängern und Angehörigen der Waffen-SS hat die Prägung durch die NS-Ideologie zuweilen in
ambivalenten Einstellungen überdauert : „Ich habe nie Haßgefühle gehabt. Die habe ich auch jetzt nicht.
Aber mögen tue ich sie heute noch nicht , die Amerikaner.“ Interview mit einem ehemaligen Angehörigen
der Waffen-SS , der im US-Entnazifizierungslager „Camp Marcus W. Orr“ ( Glasenbach ) interniert war ,
Jg. 1913 , Ebd., 95.
376 Zit. nach : Bauer , Welcome Ami Go Home , a. a. O., 24.
377 Joseph R. Starr , Fraternization with the Germans in World War II. Occupation Forces in Europe Series ,
Frankfurt 1947 , 23. Zit. nach : Oliver Matthias Arnold Schmidt , Civil Empire by Co-optation. German-
American Exchange Programs as Cultural Diplomacy , 1945–1961 , Diss., Univ. Harvard 1999 , 96.
378 Zit. nach : Bauer , Welcome Ami Go Home , a. a. O., 24.
379 Ebd., 46.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741