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1. Images , Stereotype und Vorurteile
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Wie Ingrid Bauer dargelegt hat , identifizierten sich Teile der Soldatengeneration aus-
gerechnet mit jenen Teilen der neuen Machthaber , die in der NS-Propaganda besonders
negativ dargestellt worden waren. Gespräche mit Kriegsheimkehrern dokumentieren den
„emotionalen Schulterschluß mit den schwarzen US-Soldaten“, deren Diskriminierung in
pointierter Weise auf das eigene Lebensgefühl verwies : „ ‚Es hat damals so einen Spruch
gegeben : Ich Mensch zweiter Klasse. Du Mensch zweiter Klasse‘ , erzählt ein Interview-
partner.
– Was das bedeute habe , fragte die Interviewerin.
– ‚Ja , daß die Neger in Amerika
an zweiter Stelle waren , und wir in Österreich , weil wir den Krieg verloren haben.‘ “380
Grundsätzlich positiv standen den Amerikanern als „Platzhalter für jenes bessere Leben
jenseits autoritärer Strukturen , geistiger Enge und Krieg , das Österreich erst zu realisieren
galt“381 , nur jene Menschen gegenüber , die das Ende der NS-Herrschaft in Österreich als
Befreiung erlebt hatten.
Nach Kriegsende hatte es die US-Reeducation somit ohne Zweifel zunächst mit einer
geballten Ladung an kultureller Ignoranz , politisch-rassistischen Vorurteilen und allge-
meinem Bildungsdünkel gegenüber den USA zu tun. Hinzu kamen , wie Carl Zuckmayer
in seinen geheimen Nachkriegsreports für die „Civil Affairs Division“ ( CAD ) des ameri-
kanischen War Departments festhielt , so manche ‚realitätsfremde‘ Unterlegenheitsgefühle
vieler Deutscher , die angesichts der deprimierenden sozialen und wirtschaftlichen und
ökonomischen Verhältnisse zuweilen in dumpfe emotionale Ressentiments umschlugen :
„Man hört natürlich eine ganze Menge anderer anti-alliierter oder anti-amerikanischer Slo-
gans und Worte , wenn man sich
– als Zivilist unter Zivilisten
– umhört , in Eisenbahnen , Stra-
ßenbahnen , auf Ämtern , in Brot- und Kartoffelschlangen , wie z. B. : Ja , Hitler war schlecht ,
unser Krieg war falsch , aber jetzt tun sie dasselbe Falsche , sie sind alle gleich , es gibt keinen
Unterschied , sie wollen Deutschland jetzt genauso versklaven , wie Hitler die Polen versklaven
wollte , jetzt sind wir die Juden , die ‚minderwertige Rasse‘ , sie lassen uns mit Absicht aushun-
gern , können Sie nicht sehen , daß dies ein Plan ist , sie nehmen uns alle unsere Erwerbsquel-
len , sie lassen uns langsam sterben , die Gaskammern arbeiteten schneller [ … ]. Es gibt eine
weitere
– eine primitivere Art von Haß , die von Ursachen und Ereignissen geschürt wird , wie
es sie in jedem besetzten Land gibt [ … ] wie die Wut der Jungen und jungen Männer , deren
Mädchen mit den ‚Herren‘ ( denjenigen , die Zigaretten und Süßigkeiten besitzen ) schlafen ,
–
oder der Groll von Menschen , die auf brutale Weise und mit unnötiger Härte aus ihren be-
schlagnahmten Häusern geworfen wurden – wie es manchmal gemacht wurde , unabhängig
davon , ob diese Leute Nazis waren oder unter den Nazis gelitten haben.“382
380 Ebd., 72.
381 Ebd., 74.
382 Carl Zuckmayer , Zusammenfassender Bericht über einen Auftrag in Deutschland und Österreich , No-
vember 1946 bis 31. März 1947. In : Carl Zuckmayer , Deutschlandbericht für das Kriegsministerium der
Vereinigten Staaten von Amerika. Hrsg. v. Gunther Nickel et al., Frankfurt a. Main 2007 , 72 f.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741