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2. „Education for Victory“
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Hegemonialpolitik zunehmend als politische und ideologische Bedrohung auch für die
USA gesehen wurde.
Noch bevor die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu einem Waffen-
gang unter Einsatz aller verfügbaren militärischen Mittel wurde , sah sich das zivilgesell-
schaftliche Amerika mit Ausbruch des Weltkrieges in einen fundamentalen Krieg der
Weltanschauungen , in ein Armageddon zwischen Freiheit und Sklaverei389 hineingezogen ,
dessen unmittelbare Folge eine intensive nationale Selbstvergewisserung des Realzustands
des US-Bildungssystems sowie der zugrundeliegenden moralisch-ideellen Werte bilde-
te. In einer nach Kriegende publizierten Analyse verwies der US-Bildungswissenschafter
Isaac L. Kandel390 darauf , dass die US-Regierung spätestens ab 1940 intensiviert Fragen
nach dem Zusammenhang von Wehruntauglichkeit bei jungen Rekruten , Illiterarität und
sozialer Ungleichheit aufgegriffen wurden :
“World War II brought the country to a clear realization that education is a national concern
and that , if the faith of the American people in education and in the ideal of giving every po-
tential citizen a chance for his fullest development is to continue , the resources of the nation
bliothek des Österreichischen Volkshochschularchivs in Originalausgaben erhalten ist. So z. B. : Winfred
Ernest Garrison , Intolerance , New York , 1934 ; Franz Neumann , The Decay of German Democracy. In :
The Political Quarterly , 1933 , Heft 4 , 525–543 ; Fredrick L. Schumann , Nazi Dictatorship. A Study in
Social Pathology and the Politics of Fascism , New York 1936 ; Howard R. Marraro , The New Education
in Italy , New York 1936 ; Margaret M. Ball , Post-War German-Austrian Relations : The Anschluss Mo-
vement , 1918–1936 , Stanford 1937 ; Richard Keane ( Ed. ), Germany what next ? London 1939 ; Konrad
Heiden , One man against Europe , London 1939 ; Jan Peterson , Germany beneath the Surface. Stories
of the Underground Movement , London
– Melbourne 1940 ; Franz Neumann , Behemoth. The Structure
and Practice of National Socialism , London 1942 ; Oscar Paul , Underground Europe , London 1942 ;
H. R. Knoickerbocker , Is tomorrow Hitler’s ? 115 Questions on the battle of mankind , London 1941 ;
Walter M. Kotschnig , Slaves Need No Leaders. An Answer to the Facist Challenge to Education , New
York 1943.
389 „Democracy is freedom“ schrieb die New York Times August 1939 und fügte an : „The contest to-day is
not between democracy and something newer and therefore presumably better called totalitarism. It is a
choice between the familiar thing called freedom and the very old thing called slavery.“ New York Times ,
August 1939. Zit. nach : School and Society , Vol. 50 , No. 1286 , August 19 , 1939 , 250.
390 Isaac Leon Kandel ( 1881–1965 ), gebürtiger Rumäne und aufgewachsen in Großbritannien , studierte an
der University in Manchester Erziehungswissenschaften , wo er bei Michael Sadler über die Lehrerausbil-
dung in deutschen Grundschulen promovierte. Kandel , der viel reiste und auch beim Herbartianer Wil-
helm Rein an der Universität Jena studierte , entwickelte sich bald zu einem der führenden vergleichenden
Erziehungswissenschafter. Nach Fertigstellung einer Studie über Woodrow Wilson gemeinsam mit Paul
Monroe 1918 nahm er 1920 die amerikanische Staatsbürgerschaft an ; 1923 wurde Kandel ordentlicher
Professor am Teachers College der Columbia University. In der Folge hatte Kandel u. a. Gastprofessuren
an den Universitäten Yale und Johns Hopkins inne. Siehe : Erwin Pollack , Isaac Leon Kandel ( 1881–
1965 ). In : PROSPECTS. The Quarterly Review of Comparative Education , Vol. 23 , No. 3 / 4 , 1993 , 775 ff.
Kandel war u. a. auch Autor des Buches „The Making of the Nazis“, New York 1935 , in dem er sich u. a.
eingehend mit der NS-Erziehung beschäftigte.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741