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„Education in Wartime“ – Nationalsozialismus alsFundamentalbedrohung
die Idee der Verantwortlichkeit des Einzelnen , die Ausbildung eines gemeinsamen Wer-
tesystems auf Basis des puritanischen Glaubens an individuelle Leistungsfähigkeit sowie
die Leitidee „that all man are created equal“400 bilden die Elemente , aus denen sich nach
Auffassung der pragmatischen Erziehungsphilosophie der Fortschritt und die Integrati-
on der Gesellschaft – trotz aller ethnisch-kulturellen Unterschiede der gesellschaftlichen
Gruppen
– zusammensetzen.401 Die Realität des „Pedagogic Creed“ bestätigte auch der in
die USA emigrierte Carl Zuckmayer in seinem nach Kriegsende erschienenen Amerika-
bericht , worin er der traditionell autoritären Bildungsauffassung Europas unter anderem
die amerikanische gegenüberstellte :
„Amerika glaubt an Erziehung , das ist einer seiner fundamentalen Glaubensartikel , an Erzie-
hung als Mittel zur Welt- und Lebensgestaltung und an die Erlernbarkeit alles Wesentlichen ,
und darin liegt auch ein Teil seiner Schwäche und seiner Stärke. Europa glaubt aus seiner
humanistischen Tradition heraus an Bildung , die in ihrer höchsten Bedeutung an ein Privileg
gebunden ist , ein Privileg der Berufung oder der Standesvorzüge. Amerika kennt kein Privileg ,
darin liegt seine wunderbare menschliche Freiheitlichkeit und Generosität.“402
Im direkten Gegensatz zur „etatistisch-autoritären deutschen und japanischen
Erziehungsphilosophie“,403 die Bildungs- und Erziehungsprozesse weitgehend abgekop-
pelt vom öffentlichen politischen Leben betrachtet , ist die pragmatische Auffassung von
ziehungsweise am amerikanischen Bildungs- und Erziehungssystem ( Stichwort : koedukative Einheits-
schule ) nahm. Vgl. dazu : Val D. Rust , The German Image of American Education through the Weimar
Period. In : Paedagocica Historica. International Journal of History of Education , XXXIII , 1997 , 1 , 31 ff. ;
weiters : Hermann Röhrs , Progressive Education in the United States and ist Influence on Related Edu-
cational Developments in Germany. In : Ebd., 55 ff.
400 So der Wortlaut der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776. Vgl. Henry Steele Co-
mager ( Ed. ), Documents of American History , New York 1942 , 100.
401 In einer Rede vor dem „National University Extension Association meeting“ meinte der Präsident der
University of California , Robert Gordon Sproul , diesbezüglich : „Americans have made almost a fetish of
public education because it was obvious that , without the tools of intelligence and without facts to serve
intelligence as guideposts , the people of this country would be unable to function efficiently as citizens of a
democracy , and the Constitution would become only a scrap of paper recording a dream that could not be
realized. [ … ] If democratic individuals are to hold their own against the increasing pressure of totalitarian
sycophants , education must be a lifetime process.“ Robert Gordon Sproul , Adult Education and the State.
In : School and Society , Vol. 50 , August 12 , 1939 , No. 1285 , 192–193.
402 Carl Zuckmayer , Amerika ist anders. In : Alfred Gong ( Hrsg. ), Interview mit Amerika. 50 deutschspra-
chige Autoren in der neuen Welt , München 1962 , 396.
403 Beate Rosenzweig , Erziehung zur Demokratie ? Amerikanische Besatzungs- und Schulreformpolitik in
Deutschland und Japan , Stuttgart 1995 , 69 ; siehe dazu weiters : Felicitas Hentschke , Demokratisierung als
Ziel der amerikanischen Besatzungspolitik in Deutschland und Japan 1943–1947 (= Studien zu Geschichte ,
Politik und Gesellschaft Nordamerikas , Bd. 16 ), Hamburg 2001 ; vgl. dazu auch : James F. Tent , Mission on
the Rhine. Reeducation and Denazification in American-Occupied Germany , Chicago
– London 1982 , 5 ff.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741