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2. „Education for Victory“
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„education“ in der amerikanischen Demokratie synonym gesetzt mit Demokratie selbst –
gewissermaßen Demokratie in actu.404 So gesehen ist Demokratie freilich eng mit zivilge-
sellschaftlicher Aktivität verknüpft : „Democracy is not merely a form of government but a
way of life , a set of social habits , a code of ethics.“405
Diese leitmotivische Auffassung eines direkten politischen Konnexes zwischen De-
mokratie und „Education“ brachte Präsident Franklin D. Roosevelt auf den Punkt , in-
dem er 1932 anlässlich einer Rede konstatiert hatte : „the greatest duty of a statesman is to
educate.“406 Und sieben Jahre später präzisierte er
– angesichts des soeben ausgebrochenen
Zweiten Weltkrieges
– in einem offenen Brief an alle „Patrons , Students , and Teachers of
American Schools“ die humanitäre Mission amerikanischer Erziehung und Bildung :
“From kindergarten through college our schools train us to use the machinery of reason ; par-
liamentary practice ; the techniques of cooperation ; how to accept with good grace the will of a
majority ; how to defend by logic and facts our deep convictions. This is education for the Ameri-
can way of life [ … ]. To the resolution of conflicts and struggles of life , democracy supplies no
easy answer. The easy answer , the quick but incomplete answer , is force : tanks and torpedoes ,
guns and bombs. [ … ] In our schools our coming generations must learn the most difficult
art in the world – the successful management of democracy. [ … ] And let us hope that out of our
schools may come a generation which can persuade a bleeding world to supplant force with
reason.”407 [ Hervorhebung d. Verf. ]
Vor dem Hintergrund dieses spezifisch politischen Verständnisses von demokratischer
„Education“ innerhalb der amerikanischen Gesellschaft erklären sich die intensiven Akti-
vitäten , die ab 1939 im Kontext der „Education in Wartime“ zu verzeichnen sind.
Den Auftakt bildete ein dreitägiger , groß angelegter „Congress on Education for De-
mocracy“ unter Begleitschutz von Präsident Franklin D. Roosevelt , der am 15. August 1939
am Teachers College der Columbia University in New York eröffnet wurde , und an dem
–
404 Nach Deweys Vorstellung sollte jede Schule in nuce ein demokratisches Labor darstellen. „To do this me-
ans to make each one of our schools an embryonic community life , active with types of occupations that
reflect the life of the larger society and permeated throughout with the spirit of art , history , and science.“
John Dewey , The School and Society , Chicago 1942 [ 1900 ] , 27.
405 Edwin G. Conklin , Education for Democracy [ Eröffnungsansprache vor der vierten Generalversammlung
der National Education Association in San Francisco am 5. Juli 1939 ]. Abgedruckt in : School and Society , Vol.
50 , Saturday , August 5 , 1939 , No. 1284 , 161.
406 Franklin D. Roosevelt anlässlich einer Rede vor dem Commonwealth Club in San Francisco 1932. In :
Samuel I. Rosenman ( Ed. ), The Public Papers and Addresses of Franklin Roosevelt. Vol. I : The Genesis of
the New Deal , 1928–1932 , New York 1938 , 742–756.
407 Offener Brief von Franklin D. Roosevelt anlässlich der „American Education Week“: „To the Patrons ,
Students , and Teachers of American Schools“, The White House , Washington D.C., October 2 , 1939.
Abgedruckt in : School and Society , Vol. 50 , Saturday , October 28 , 1939 , No. 1296 , 1.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741