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2. „Education for Victory“
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Vorerst ging es aber , wie Paul McNutt von der Federal Security Agency des U.S. Office
for Education herausstrich , primär um die vollständige Mobilisierung der „Education for
Victory“, wobei McNutt den Unterschied zwischen zivilen und militärischen Anstren-
gungen im nationalen Abwehrkampf zumindest „moralisch“ bereits aufgehoben sah. So
meinte er gegenüber den Konferenzteilnehmern : „You are in the army now
– that or a Nazi
straightjacket later ! Every resource of the nation must be geared to victory.“521
Neben der Bereitstellung von zusätzlichen Lehrkräften für sogenannte militärische
„Pre-Instruction“-Kurse an Colleges und Universitäten522 zur Unterstützung der völlig
überlasteten Offiziersausbildung an den Militärakademien
– pro Jahr wurden nun 10. 000
Offiziere ausgebildet – sowie der umfassenden Weiterbildung militärischen und zivilen
Personals ging es auch um Vorkehrungsmaßnahmen zur Verbesserung der landesweiten
Ernährung ,523 Gesundheitserziehung und um entsprechende Hygiene–maßnahmen. Im-
merhin hatte eine empirische Erhebung ergeben , dass nur 50 Prozent der Army-Rekru-
ten die erforderlichen körperlich-gesundheitlichen Voraussetzungen für den allgemeinen
Wehrdienst erfüllten.524
Aufgrund des Arbeitskräftemangels525 in der Agrarwirtschaft infolge der Einziehung
der Landjugend für die Kriegsindustrie beziehungsweise zum Militärdienst526 wurden
521 Ebd., 58.
522 Robert M. Hutchinson [ Präsident of the University of Chicago ] , Education and the War. The University
in War and Peace. In : Representative American Speeches : 1942–1943 , a. a. O., 236–247.
523 So stellten Expertenberichte fest , dass zwischen 30 und 40 % der amerikanischen Bevölkerung , also rund
rund 45 Millionen , armutsbedingt unterernährt wären. Vgl. Our Country’s Call to Service , a. a. O., 7.
524 Ein Report vom November 1941 stellte fest , dass von zwei Millionen untersuchen Rekruten nur eine Mil-
lion unmittelbar wehrtauglich war. Von der anderen Million wäre lediglich die Hälfte für eingeschränkten
Militärdienst verwendbar , die andere gar nicht. 20,9 % der Rekruten hätten darüber hinaus gravierende
Zahnprobleme , 13,7 % ernst zunehmende Augenprobleme , 13 % Herzprobleme , und immerhin 10,6 %
Geschlechtskrankheiten. Siehe : Analysis of Reports of Physical Examination : Summary of Data from
19. 923 Reports of Physical Examination ( Medical Statistics Bulletin No. 1 , National Headquarters Se-
lective Service System ), Washington D.C., 10. November 1941 , 31 f.
525 Das zu lösende generelle Problem hinsichtlich der Menge des erforderlichen , adäquat geschulten Personals
für Verteidigungszwecke wurde in einem Satz umrissen : „The problem seemed elementary : several million
men out of work , several million needed – match men and jobs.“ Our Country’s Call to Service , a. a. O., 9.
526 Anfang 1942 waren bereits 17 Millionen Männer – auf freiwilliger Basis – bei der Army registriert ; 10
Millionen weitere Rekruten wurden schätzungsweise noch benötigt [ laut Aussage General Hershey auf
der Baltimore-Konferenz im Jänner 1942 ]. Dabei wurde von den Militärs auch bereits deutlich ausgespro-
chen , dass eine planmäßige und systematische Rekrutierung auf „freiwilliger“ Basis möglich sei. Vgl. Wal-
ters , The Baltimore Conference , a. a. O., 60. Im Jänner 1944 schlug schließlich auch Präsident Roosevelt
einen „national service act“ vor : „Although I believe that we and our Allies can win the war without such
a measure , I am certain that nothing less than total mobilization of all our resources of manpower and
capital will guarantee an earlier victory , and reduce the toll of suffering and sorrow and blood.“ Franklin
D. Roosevelt , Message to Congress , January 11 , 1944. In : Representative American Speeches : 1943–1944.
Selected by A. Craig Baird , New York 1944 , 22.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741