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2. „Education for Victory“
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Die kriegsbedingte Militarisierung des gesamten US-Bildungs- und Erziehungswesen
fasste Präsident Roosevelt in einer Kongress-Rede 1944 anschaulich zusammen :
“I understand that nearly the whole energies of the university have been drawn into the prepa-
ration of American youth for the battlefield. For this purpose , all classes , courses have been
transformed and even the most sacred vacations have been swept away in a round-the-year
and almost round-the-clock drive to make warriors and technicians for the fighting fronts.”572
Unter der Herausforderung des „totalen Krieges“,573 wo es aus Sicht amerikanischer Bil-
dungsfachleute , Wissenschafter und Politiker nicht nur um Sieg oder Niederlage , sondern
um „either we or they“,574 um Demokratie oder Diktatur und damit um Freiheit oder Ver-
nichtung ging , sollten die Schulen und sonstigen Bildungsagenturen des Landes
– ganz im
Sinne der Deweyschen Vorstellungen
– in der gemeinsamen Anstrengung gegen den Feind
zu Lern- und Werkstätten praktizierter Demokratie werden.
Die bildungspolitische Herausforderung an das gesamte amerikanische Bildungswesen
und deren Subordinierung unter militärische Imperative
– deren Folgewirkung man in ge-
wissem Sinne als kriegsbedingte , binnenamerikanische „Reeducation“,575 als binnename-
rikanische Demokratisierung 576 interpretieren könnte , die der Reeducation der Achsen-
572 Franklin D. Roosevelt , Message to Congress , January 11 , 1944. In : Representative American Speeches :
1943–1944 , a. a. O., 29.
573 Der 1938 in die USA emigrierte österreichische Historiker und spätere Professor am Cornell College ,
Eric C. Kollmann , analysierte den Zweiten Weltkrieg als ersten globalen , industriellen und zugleich „to-
talen“ Krieg , der alle Bereiche der Gesellschaft umfasse und als globale Krise die Reevaluation westlicher
Fundamente und Werte dringend erforderlich mache. „Consequently , no single individual can escape the
war , whether physically , or psychologically , or spiritually. [ … ] What does that mean to American Educa-
tion [ … ]. It means first , of course , that the schools are drafted , too , that education as usual is out. And , I
think , not just for the duration.“ Eric C. Kollmann , The Nature of this War and American Education. In :
School and Society , Vol. 57 , Saturday , February 20 , 1943 , No. 1469 , 203.
574 Our Country’s Call to Service , a. a. O., 2.
575 So verwies beispielsweise Ross Stagner in einem psychologischen Fachbeitrag zur Reeducation der durch
Chauvinismus , Militarismus und Rassismus indoktrinierten Deutschen dezidiert darauf , dass Umerzie-
hungsmaßnahmen dieser Art u. a. auch der amerikanischen Bevölkerung gut täten : „Our attention should
not be drawn too much away from home while thinking along this line. Many inhabitants of the United
Nations need a similar education toward replacing many established emotional patterns. Latent hostility
against our Russian , British , and Chinese allies is still high , even if under cover.“ Ross Stagner , Peace-
Planning as a Problem in the Psychology of Learning. In : The Journal of Abnormal and Social Psychology , 38 ,
1943 , 189.
576 So wurde im Bereich des Militärs für die Stärkung der Moral der Rekruten und deren „Education“
– 1940
waren immerhin 55 % der Army-Rekruten „splendid isolationists“ – 1942 mit dem „Why We Fight“-
Filmprogramm der Army Moral Branch begonnen , das der Regisseur Frank Capra als Leiter der „Film
Production Section of Special Services Division“ ( SSD ) koordinierte. Jeder US-Soldat , der nach Europa
einschiffte , musste diese Dokumentarfilme wie z. B. „The Nazi Strike“ [ 1943 ] obligatorisch ansehen , die ,
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741