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2. „Education for Victory“
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direkt-invasiven Veränderung des Mind-Sets der Menschen in Deutschland , Österreich
oder Japan enthält der Reform-Diskurs zumindest der humanwissenschaftlichen Pädagogen ,
Historiker und Philosophen – also der „weichen“, traditionellen Gesellschaftswissenschaf-
ter
– kaum. Es verwundert daher auch kaum , dass im Kontext edukativer Post-War-Überle-
gungen , die sich
– anders als im Fall der psychiatrisch-psychologischen Konzepte
– zum Teil
mit sozialpsychologischen Überlegungen mischten , der Begriff „Reeducation“ als Terminus
technicus nur selten vorkommt und weitaus häufiger von „Rehabilitation“, „Reconstruction“,
„Democratization“ und später auch „Re-orientation“ gesprochen wurde.614
Ein wesentliches politisches Element der Überlegungen zur „Educational Reconstruc-
tion“, das sich im „Education for Victory“-Diskurs analog zur Selbstvergewisserung der
demokratischen Werte entfaltete , stellt der amerikanische Universalismus dar. So wie der
Kampf gegen Nationalsozialismus und Faschismus als universaler Kampf zweier diametral
entgegengesetzter , feindlicher weltanschaulicher Systeme angesehen wurde , in dem es im
fundamentalen Sinne um „either we or they“ ging , sollte dieses Mal auch der Sieg
– anders
als nach Ende des Ersten Weltkrieges – ein universaler Sieg von demokratischer Freiheit ,
Frieden und Sicherheit für die ganze Menschheit sein.615
“We ought not to hate the Germans , Italians and Japanese. Hatred against men may help to
win a war , but it surely helps to lose the peace. Our students must learn that this is a war not
between nations but between fundamentally different concepts of man and life. [ … ] We do
want a world order in which free men can develope themselves and their society , follow their
interest , and worship their God in their own way.”616
Und da die Vereinigten Staaten in diesem „Kreuzzug des Guten gegen das Böse“617 das
liberale , demokratische Erbe nicht nur der eigenen Nation , sondern – stellvertretend für
die „freie Welt“ – der Menschheit insgesamt zu verteidigen hatten618 und die amerikani-
614 Ähnliches gilt auch für die britische Bildungsreformdebatte , die ab 1943 über institutionelle Kooperati-
onsplattformen in teils engem Austausch mit amerikanischen zivilen Einrichtungen geführt wurde. So
z. B. in der britischen „Joint Commission of the London International Assembly and the Council for Ed-
ucation in World Citizenship“, in der unter den Vertretern von 12 Mitgliedsländern u. a. auch China , die
USA und „fighting France“ vertreten waren. Vgl. Educational Reconstruction in Europe. In : Nature , Vol.
152 , August 14 , 1943 , No. 3850 , 169.
615 „It is a mistake to assume that an enduring peace will come from winning the war. Only the opportunity to
shape a lasting peace naturally follows the winning of the war.“ Harold F. Harding , Can the Liberal Arts
Tradition Survive ? [ Rede von Colonel Harding vor der Phi Beta Kappa Association of Hawaii , May 28 ,
1943 ]. In : Representative American Speeches : 1943–1944 , a. a. O., 313.
616 Kurt Bergel , Education for Reconstruction. In : School and Society , Vol. 55 , April 11 , 1942 , No. 1424 , 417.
617 Kellermann , Von Re-education zu Re-orientation , a. a. O., 87.
618 „The glory of American foreign policy has certainly not been the effectiveness with which it stopped the
spread of tyranny but the insistence with which it proclaimed the necessity for standards of international
conduct. [ … ] No other government raised its voice as clearly because [ … ] no other enjoyed the same
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741