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„Our Country’s Call to Service“
Bezüglich der notwendigen materiellen Unterstützung für den Aufbau der durch Krieg
oder NS-Terror zerstörten Bildungs-Infrastruktur , also von Schulen , Universitäten oder
Bibliotheken ,628 herrschte weitgehend Konsens. Und obwohl in der gesamten Diskussion
primär von „Nazi-Germany“ die Rede war und Österreich im Zusammenhang der „Edu-
cational Reconstruction“ kaum je explizit genannt wurde , wusste man über die konkreten
Veränderungen des Erziehungs- und Bildungswesen in den von Hitler-Deutschland ok-
kupierten Ländern durchaus gut Bescheid.629 So – neben der politischen Geschichte630 –
auch über die Entwicklung ,631 die strukturellen Veränderungen632 und über den Effekt der
nationalsozialistischen Indoktrinierung des österreichischen Bildungswesens , wobei gegen
Ende des Krieges auch auf vereinzelten Widerstand innerhalb der akademischen Jugend
hingewiesen wurde.633
men mit der traditionell zentral-hierarchischen Tradition des japanischen Bildungswesens eine Umsetzung
erleichtert haben ; wobei der Strukturwandel „nicht notwendig auch ein Bruch mit den traditionellen Idea-
len der vertikal strukturierten Gesellschaft“ folgte. Rosenzweig , Erziehung zur Demokratie ? , a. a. O., 210.
628 American Aid in Foreign-Library Rehabilitation urged by the ALA [ American Library Association ]. In :
School and Society , Vol. 58 , August 7 , 1943 , No. 1493 , 85.
629 Die Exponenten des „Education in Wartime“-Diskurses waren zumindest generell über die Verände-
rungen des Erziehungs- und Bildungswesens in Hitlerdeutschland , in der „Ostmark“, in der Slowakei , in
Italien und im Vichy-Frankreich gut informiert. Vgl. The Eclipse of Education under Nazi Rule. In : School
and Society , Vol. 53 , March 8 , 1941 , No. 1367 , 304 f. ; I. L. Kandel , The Vichy Government and Education
in France. In : School and Society , Vol. 52 , December 14 , 1940 , No. 1355 , 619–625. Joseph S. Roucek , Ed-
ucational Changes in Slovakia. In : School and Society , Vol. 50 , August 19 , 1939 , No. 1286 , 249–250.
630 Vgl. George E. R. Gedye , Betrayal in Central Europe. Austria and Czecho-Slovakia : the fallen bastions ,
New York – London 1939 ; Martin Fuchs , Showdown in Vienna. The death of Austria , New York 1939.
631 So publizierte die „Federal Security Agency“ des U. S. Office of Education beispielsweise die Darstellung
des emigrierten österreichischen Mittelschullehrers und Hofrats im Unterrichtsministerium ( 1920–1938 )
sowie langjährigen Volkshochschul-Fachgruppenleiters , Max Lederer , Secondary Education in Austria ,
1918–38 (= United States Government Printing Office , Bulletin No. 9 ), Washington D.C. 1941. Darin
gab Lederer einen detaillierten Aufriss des österreichischen Schulwesens mit Schwerpunkt Mittelschule ,
und strich dabei den „revolutionären Elan“ und die zukunftsweisenden Leistungen der österreichischen
Schulreform der Zwanzigerjahre heraus. Lederer schloss seine Darstellung , die mit einer umfangreichen
Bibliographie zum österreichischen Schul- und Bildungswesen versehen war , mit einem resignativen
Hinweis auf die Realsituation : „The Austrian school has disappeared. Today – at least outwardly – it is
submerged in the German school system. [ … ] Thus we may hope that ideas of this educational movement ,
though overthrown in the country of its origin , may still live on and bear fruit in other lands.“ Ebd., 38.
632 So beispielsweise , dass im Jahr 1938 die Zahl der jüdischen Schülerinnen und Schüler in den insgesamt
4. 721 österreichischen Volksschulen – bei einer Gesamtschülerzahl von rund 657. 000 SchülerInnen im
Jahr 1938 – bereits um 80 % gesunken war. Die Gesamtzahl der jüdischen SchülerInnen in öffentlichen
und privaten Schulen fiel von 19. 913 im Jahr 1937 auf 8. 962 im Herbst 1938. The Status of Elementary
Education in Germany , 1939. In : School and Society , Vol. 52 , September 14 , 1940 , No. 1342 , 192.
633 „Every organ of the German state , from the Hitler Youth to the Gestapo , is working in close collaboration
to maintain an iron grip on Austrian Youth. [ … ] Austrian students are beginning to take part in the fight
of the whole Austrian nation for a free and independent Austria. Resistance among youth in general is as
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741